Molekulare Signalwege

Adipositas ade? Mit personalisierter Medizin gegen die Epidemie

Die Volkskrankheit Adipositas soll künftig mit pharmakologischen Präzisionswaffen bekämpft werden. "Diabetes-Epidemie" soll für unsere Enkel ein Begriff aus dunkler Vergangenheit werden.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Adipöses Kind: In Deutschland sind 16 Millionen Menschen fettleibig.

Adipöses Kind: In Deutschland sind 16 Millionen Menschen fettleibig.

© kwanchaichaiudom / stock.Adobe.com

ERFURT. Der Stoffwechsel des Menschen ist ja so programmiert, dass Fettleibigkeit gegenüber schlankem Körperbau begünstigt wird. Physiologisch vorgesehen ist Adipositas freilich nicht. Wenn jedoch jederzeit unnatürlich energiedichte Lebensmittel mundgerecht zur Verfügung stehen, hat das in Verbindung mit zunehmend wenig Bewegung, die wir zur Nahrungsbeschaffung brauchen, drastische Folgen. Die moderne Zivilisation ist weltweit mit einer nie da gewesenen Verbreitung der Adipositas konfrontiert. In Deutschland geht es um 16 Millionen Menschen. Der Anteil extremer Adipositas (BMI über 40 kg/m2) hat sich seit 1999 verdoppelt.

Bestenfalls Insellösungen

Viele Folgeerkrankungen sind mit Adipositas assoziiert, darunter Diabetes, KHK, Arthrose, Darm- und Brustkrebs. EU-weit beziffert die European Association for the Study of Obesity (EASO) die jährlichen Behandlungskosten und Produktivitätsverluste mit 70 Milliarden Euro. Zur Versorgung adipöser Patienten existieren bestenfalls Insellösungen. Längst gilt Adipositas nicht nur als Risikofaktor, sie muss selbst als chronische Krankheit begriffen werden. Doch erst wenn alle Akteure im Gesundheitswesen das verinnerlichen, wird es zu adäquaten Versorgungsformen reichen.

Statt "auf Wunderpillen oder Wunderdiäten" zu warten, so forderte DAK-Vorstand Professor Herbert Rebscher Ende vergangenen Jahres bei der Vorstellung des DAK Versorgungsreports Adipositas, müssten bereits existierende Behandlungskonzepte konsequent in der GKV-Regelversorgung angeboten werden. Das ist zweifellos richtig. Nach bisherigen Erfahrungen scheint aber ein durchschlagender Erfolg ganz ohne pharmakologische (und im Extremfall chirurgische) Hilfe kaum vorstellbar.

Verstärkt wird dieser Eindruck beim Blick auf die international zu beobachtende Publikationsfülle zum Thema: Er offenbart einen Kosmos genetischer, epigenetischer und menschengemachter Faktoren, die maßgeblich zum metabolischen Syndrom und zur Adipositas beitragen, sowie komplexe molekulare Signalwege, die sich wechselseitig auf vielfältige Weise beeinflussen. Das eine Medikament zum "Abspecken" wird es deshalb nicht geben. Der strapazierte Begriff der personalisierten Medizin hat längst auch in dieses Forschungsfeld Einzug gehalten. Denn die individuellen Hintergründe für Adipositas sind verschieden.

Präzisionswaffen gegen die Epidemie

So haben Wissenschaftler in genomweiten Assoziationsstudien eine Reihe von Genen identifiziert, die zwar das Adipositas-Risko erhöhen, aber nur zum geringen Teil das erhöhte Körpergewicht erklären – etwa regulatorisch wirksame zentralnervöse Komponenten, die Kommunikation zwischen Gehirn und Fettgewebe oder die Kommunikation zwischen Gehirn und Magen-Darm-Trakt. Letzteres fällt besonders auf, wenn sich schwergewichtige Diabetes-Patienten einer bariatrischen Op unterziehen: Lange bevor postoperativ das Körpergewicht zu fallen beginnt, benötigen diese Patienten kein Insulin mehr.

Forscher um Professor Matthias Tschöp von der TU München, am dortigen Helmholtz Zentrum (HMGU) und am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) versuchen seit einiger Zeit, die beobachteten Signalveränderungen nach bariatrischer Chirurgie mit speziell designten Peptidmolekülen zu imitieren. Ziel ist es, Moleküle so zu modifizieren, dass sie gleichzeitig verschiedene Organe und Rezeptoren ansprechen. Der Organismus soll etwa "glauben", dass ein Magenbypass angelegt worden sei. Je nachdem, was erforderlich ist, sollen künftige Medikamente gezielt die Insulinsekretion fördern, die Kalorienverbrennung anregen, den Appetit zügeln, Entzündungen hemmen oder die Fettleber ansprechen.

Dr. Timo Müller vom DZD und seine Kollegen etwa konstruierten ein Doppelhormon aus Glukagon und dem Schilddrüsenhormon T3. Damit gelangt T3 nur in Zellen, die einen Glukagon-Rezeptor haben, um dort seine günstigen Effekte auf den Fettstoffwechsel zu entfalten. In Tierversuchen sanken Glukose- und Cholesterinwerte, Körpergewicht und der Leberfettanteil nahmen ab.

Einer Arbeitsgruppe am HMGU ist es gelungen, einen Mechanismus aufzudecken, der die Wirkung des Sättigungshormons Leptin steuert und der ein Angriffspunkt gegen den Jojo-Effekt beim Abnehmen bilden könnte. Ein Tripel-Hormon aus GLP (Glucagon like Peptide)-1, GIP (Gastric Inhibitory Pepide) und Glukagon verstärkte in präklinischen Versuchen die Insulin-Ausschüttung, zügelte den Appetit und steigerte die Kalorienverbrennung. Inzwischen laufen klinische Studien. Tschöp ist überzeugt, dass mit Kombinationen aus vier, fünf oder mehr Hormonkomponenten der Stoffwechsel noch effizienter zu manipulieren sei, er spricht von "personalisierter Präzisionsstoffwechselmedizin".

"Wir hoffen, dass es sich mit diesen und anderen Kandidaten machen lässt, dass wir die Adipositas beseitigen und dass es in den nächsten 50 oder vielleicht schon 20 Jahren keine Diabetesepidemie mehr geben wird", äußerte Tschöp Ende vergangenen Jahres beim Paul-Martini-Symposium in Berlin. Im Moment wäre es schon toll, wenn der Trend zur weiteren Verbreitung von Übergewicht und Adipositas endlich gestoppt würde.

Europäischer Adipositas-Tag

» Der "European Obesity Day" findet seit sieben Jahren jedes Jahr am dritten Samstag im Mai statt, in diesem Jahr ist das der 20. Mai.

» Die Organisation "European Association for the Study of Obesity (EASO)", in der Wissenschaftler und Experten aus 32 europäischen Ländern vertreten sind, ist Initiator der Kampagne.

» Das Motto lautet in diesem Jahr "Tackling Obesity Together" ("Übergewicht gemeinsam anpacken")

Mehr Informationen unter http://www.europeanobesityday.eu/european-obesity-day/

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