Paradox

Adipositas kann das Leben verlängern

Ob wir es verstehen oder nicht, die epidemiologischen Daten sind seit Jahren eindeutig: Im Krankheitsfall ist es anscheinend manchmal nützlich, zu viel auf den Rippen zu haben. Doch es gibt ein Problem.

Von Ellen Jahn Veröffentlicht:
Der Lockruf des Süßem: Im Krankheitsfall anscheinend manchmal nützlich, wer zu viel auf den Rippen hat.

Der Lockruf des Süßem: Im Krankheitsfall anscheinend manchmal nützlich, wer zu viel auf den Rippen hat.

© Marius Graf/Fotolia

FRANKFURT / MAIN. Warum fällt es so schwer, dicke Menschen zu akzeptieren? Geht es hier eigentlich um Ästhetik oder um Medizin? Wer jahrelang seinen dicken Patienten erst einmal Diätprogramme nahegelegt hat, fühlt sich irgendwie betrogen. Was ist noch glaubwürdig?

Auch Professor Burkhard Weisser, Direktor des Sportmedizinischen Instituts der Universität Kiel, versucht, an der Evidenz des "Obesity-Paradoxon" zu rütteln. Für ihn ist unbestritten: "Die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas sollte in jungen Jahren vermieden werden." Als "Primärprävention" steht dies derzeit wohl noch außer Frage.

Adipositas-Paradoxon

Das Adipositas-Paradoxon gilt in erster Linie für bereits Erkrankte, die aufgrund ihrer Erkrankung per se eine statistisch verkürzte Lebenserwartung hätten, sagte Weisser beim Gemeinsamen Kongress für Sportmedizin und kardiovaskuläre Prävention und Rehabilitation der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) und der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation (DGPR) in Frankfurt / Main.

Ein klassisches Beispiel sind Untersuchungen an über 120.000 Hämodialyse-Patienten: Diejenigen mit dem höchsten Body-Mass-Index hatten die höchste Lebenserwartung.

Dies bestätigten die Daten zahlreicher weiterer Studien in unterschiedlichen Indikationen – vom akutem Myokardinfakt bis zu Krebserkrankungen und Sepsis: Stets hatten Adipöse eine bessere Überlebensprognose als Normalgewichtige.

Das Ende der Abnehmdogmen?

Umgekehrt gilt: Ärzte können ihre Patienten sogar gefährden, wenn sie diese zum Abnehmen ermuntern. Da dies in der Praxis aber ohnehin selten erfolgreich gewesen sei, wurde nach Ansicht von Weisser nicht allzu viel Schaden angerichtet.

Inzwischen ist weitgehend akzeptiert, dass bei einigen Erkrankungen, also in der Sekundärprävention, der höhere BMI einen Überlebensvorteil bietet.

Für die Medizin scheint es höchste Zeit, sich nicht länger auf BMI und Taillenumfang zu fixieren, sondern sich mehr auf die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit zu konzentrieren – eine Maßnahme, die hocheffektiv sein kann.

So zeigen Untersuchungen an über 12.000 Veteranen, dass übergewichtige (BMI bis 29,9kg/m2) mit hohem Fitnessgrad generell die höchsten Überlebenschancen aufweisen. Falls die verbesserte Fitness dann noch mit erhöhter Lebensqualität, mehr Geschicklichkeit und erhöhter sozialer Aktivität einhergeht, ist viel gewonnen.

Das Problem

Fazit von Weisser: Aus internistischer Sicht gibt es keine gute Evidenz, Patienten jenseits des 50. Lebensjahres eine Körpergewichtsreduktion zu empfehlen.

Doch wiesen Menschen mit lebenslangem Normalgewicht die beste Prognose bezüglich Gesamtmortalität sowie kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität auf. Schließlich scheint es besser, als Normalgewichtiger gar nicht erst zu erkranken, als mit Übergewicht die Krankheit besser überleben zu wollen.

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