Antiadipositum senkt auch Blutdruck und HbA1c

KÖLN (nsi). Etwa zwei Drittel der Deutschen bringen mehr Kilos auf die Waage als medizinisch wünschenswert wäre, und 20 Prozent der Bundesbürger sind adipös: Sie haben einen Body Mass Index (BMI) von über 30 kg/m2. Damit hat Deutschland im europäischen Vergleich einen Spitzenplatz bei der Gewichtszunahme seiner Bürger.

Veröffentlicht:

Das sagte Professor Alfred Wirth von der Teutoburger-Wald-Klinik in Bad Rothenfelde bei der Jahrestagung der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) in Köln. "Um effektiv das Gewicht zu senken, also mindestens fünf Prozent abzunehmen und das neue Gewicht mindestens ein Jahr lang zu halten, sind intensivere Lebensstiländerungen nötig, als die meisten Patienten und Therapeuten glauben", sagte Wirth.

Meist scheitern Patienten, die zuviel abnehmen wollen

Die Fehleinschätzung des Erreichbaren sei ein Grund für das häufige Scheitern der Therapie. Wer zum Beispiel zehn Kilogramm abnehme, wie es durch eine Formuladiät mit 800 Kilokalorien am Tag innerhalb von zwei Monaten möglich sei, reduziere seinen Energieverbrauch um 15 Prozent, erläuterte Wirth.

Um das verminderte Körpergewicht dann zu halten, müsse der Patient mindestens drei Stunden Sport pro Woche machen und auf diese Weise mindestens 1500 Kilokalorien zusätzlich verbrauchen, sagte Wirth.

"Haben Adipöse eine genetische Veranlagung zu vermehrtem Hungergefühl und geringen Energieverbrauch, was auf jeden zweiten Adipösen zutrifft, ist das Gewichtsproblem enorm", sagte Wirth. "Diese Menschen müssen sich anders ernähren und mehr bewegen als der Normalbürger - und das ein Leben lang", so der Kardiologe und Ernährungsmediziner.

Oft haben Adipöse unrealistische Vorstellungen davon, wie viel sie abnehmen können, und geben daher vorzeitig auf, so Professor Stephan Jacob vom Adipositas-Zentrum Südwest in Villingen-Schwenningen. Nach den Ergebnissen von Umfragen meinen 55 Prozent der Adipösen, die zur Gewichtsabnahme motiviert sind, sie könnten 20 bis 30 Prozent ihres Körpergewichts anhaltend abspecken. Acht Prozent streben sogar eine Gewichtsreduktion von mehr als 30 Prozent an, sagte Jacob.

Bei Adipositas Grad I (BMI 30 bis 35 kg/m2) werde aber lediglich eine Gewichtsabnahme von fünf bis etwa zehn Prozent empfohlen. "Dann gilt es, das Gewicht zu halten", so Jacob auf einem von Roche Pharma unterstützten Symposium.

Eine medikamentöse Behandlung könne die Gewichtskontrolle durch Lebensstiländerungen unterstützen und sei vor allem bei Patienten mit kardio-metabolischem Syndrom indiziert, so der Experte. Als Medikamente eigneten sich Orlistat (vom Unternehmen als Xenical® angeboten), Sibutramin und Rimonabant. Zu Orlistat gebe es derzeit die umfangreichsten Studiendaten mit kardiovaskulären und metabolischen Endpunkten, sagte Jacob.

Orlistat in Metaanalyse mit 2459 Adipösen untersucht

Jacob hat eine Metaanalyse aus sieben placeobokontrollierten, doppelblinden Studien mit 2459 übergewichtigen Diabetikern vorgestellt. In den Verumgruppen hatten insgesamt 1249 Patienten dreimal täglich 120 mg des Lipase-Hemmers Orlistat eingenommen. 1230 Patienten bekamen Placebo. Die Teilnehmer hatten zu Studienbeginn einen BMI zwischen 28 und 43 kg/m2, die Werte für das glykosylierte Hämoglobin (HbA1c) lagen zwischen 6,5 und 12,9 Prozent.

Alle Patienten wurden antidiabetisch behandelt und erhielten eine Diät mit einem täglichen Energiedefizit von 500 bis 600 kcal. In 52 Wochen verloren die Probanden mit dem Lipasehemmer im Mittel 3,8 Kilogramm und mit Placebo 1,4 Kilogramm. Der HbA1c nahm in den Orlistat-Gruppen durchschnittlich um 0,74 Prozent, in den Placebo-Gruppen um 0,31 Prozent ab - ein signifikanter Unterschied.

Arzneitherapie senkt den Blutzucker stärker als Placebo

Auch die Nüchternblutzucker-Werte verminderten sich bei Patienten der Verumgruppen stärker als mit Placebo (Reduktion um 1,39 mmol/l versus 0,47 mmol/l). Selbst in Orlistat-Untergruppen mit wenig oder keiner Gewichtsverlust sanken HbA1c-Werte und Blutzucker signifikant stärker als unter Placebo, so Jacob.

Eine Metaanalyse aus drei Orlistat- Studien mit insgesamt 19 000 Patienten habe außerdem eine Reduktion der kardiovaskulären Risikofaktoren durch Orlistat klar belegt, sagte der Diabetologe. Unter Therapie mit dem Lipase-Hemmer sanken die durchschnittlichen systolischen Blutdruckwerte von 133 mm Hg um 7,4 mm Hg, bei Behandlung mit Placebo von 132 mm Hg um 4,4 mm Hg. Die diastolischen Werte sanken von durchschnittlich 83,5 mm Hg um 3,6 mm Hg in den Orlistat-Gruppen und von durchschnittlich 83,1 mm Hg um 1,9 mm Hg in den Placebo-Gruppen.

"Vor allem bei adipösen Patienten mit arterieller Hypertonie ist damit die Wirkung des Lipase-Hemmers den Effekten von Antihypertensiva ähnlich", so Jacobs Fazit. Die Behandlung mit Orlistat eigne sich daher zur kausalen Behandlung von Patienten mit kardio-metabolischen Risikofaktoren.



STICHWORT

BMI und Therapie

Normalgewichtige: Menschen mit einem BMI von 18,5 bis 25 kg/m2 sollten ihr Gewicht stabil halten.

Übergewichtige: Bei einem BMI von 25 bis 30 kg/m2 sollten Patienten mit peripherer Fettverteilung eine weitere Gewichtszunahme vermeiden. Bei abdominaler Fettverteilung oder Begleiterkrankungen sollten sie mindestens fünf Prozent des Ausgangsgewichtes reduzieren. Diät und Bewegung (Basisprogramm) sind dabei die Therapie der ersten Wahl.

Adipöse: Bei Adipositas Grad II (BMI 35 - 40 kg/m2) oder Grad III (BMI größer als 40 kg/m2) sollten die Patienten zusätzlich zu Bewegung und Diät eine medikamentöse Therapie erhalten. Sie sollten fünf bis zehn Prozent des Ausgangsgewichtes reduzieren. (nsi)

Ihr Newsletter zum Thema
Lesen sie auch
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Therapie

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Medizinischer Infusions-Tropf mit buntem Hintergrund

© Trsakaoe / stock.adobe.com

Hochdosis-Therapie

Vitamin C bei Infektionen und Long-COVID

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Maximale Vitamin-C-Blutspiegel nach oraler (blau) und parenteraler (orange) Tagesdosis-Gabe.

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Infusion

Parenterale Gabe erzielt hohe Plasmakonzentrationen an Vitamin C

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
SCD-PROTECT-Studie-- Frühe Phase nach Diagnose einer Herzinsuffizienz – deutlich höheres Risiko für den plötzlichen Herztod als in der chronischen Phase.

© Zoll CMS

SCD-Schutz in früher HF-Phase

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: ZOLL CMS GmbH, Köln
Abb. 2: Schneller Wirkeintritt von Naldemedin im Vergleich zu Placebo in den Studien COMPOSE-1 und COMPOSE-2

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [15]

Opioidinduzierte Obstipation

Selektive Hemmung von Darm-Opioidrezeptoren mit PAMORA

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Viatris-Gruppe Deutschland (Mylan Germany GmbH), Bad Homburg v. d. Höhe
Abb. 1: Risikoreduktion durch Bempedoinsäure gegenüber Placebo in der CLEAR-Outcomes-Studie für den primären 4-Komponenten-Endpunkt (A) und den sekundären 3-Komponenten-Endpunkt (B) stratifiziert nach Diabetes-Status

© Springer Medizin Verlag

Diabetes mellitus

Bempedoinsäure: Benefit für Hochrisiko-Kollektive

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Daiichi Sankyo Deutschland GmbH, München
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Lesetipps
Sieht lecker aus und schmeckt — doch die in Fertigprodukten oft enthaltenen Emulgatoren wirken proinflammatorisch. Ein No-Go für Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.

© mit KI generiert / manazil / stock.adobe.com

Emulgatoren in Fertigprodukten

Hilfreich bei Morbus Crohn: Speiseeis & Co. raus aus dem Speiseplan!