Bei psychischen Erkrankungen besteht Verwechselungsgefahr

MÜNCHEN (wst). Die Symptomatik bei Patienten mit Depressionen, bipolaren Erkrankungen oder Schizophrenie kann überlappen, und die Patienten sprechen zum Teil auf die gleichen Medikamente gut an. Daher liegen biologische Gemeinsamkeiten nahe. Eine gewissenhafte Differentialdiagnostik ist aber dennoch notwenig, denn Patienten mit diesen psychischen Krankheiten benötigen jeweils eine andere Behandlung.

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Schon lange ist bekannt, daß psychische Störungen familiär gehäuft auftreten. Daran hat Professor Avraham Weizman von der Universität Tel Aviv in Israel erinnert. Dabei gibt es in Familien nicht nur häufig mehrere Schizophrenie-Patienten, es gibt in solchen Familien auch überdurchschnittlich oft andere psychische Störungen, etwa bipolare Erkrankungen, so der Experte auf einer vom Unternehmen Pfizer unterstützten Veranstaltung beim Psychiatrie-Kongreß in München.

Zwillingsstudien sprechen für genetische Veranlagung

  Bei Depressiven ist es immer nötig, manische Episoden auszuschließen.
   

Allein die familiäre Häufung bestimmter psychischer Erkrankungen ist jedoch noch kein ausreichender Beleg für eine genetische Ursache oder genetische Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen psychischen Krankheiten, sagte Weizman. Möglich wäre ja auch, daß Familienmitglieder denselben psychisch belastenden Bedingungen ausgesetzt sind und sich so die familiäre Häufung als Reaktion darauf erklärt. Dabei kämen Erkrankte sogar ihrerseits als krank machende Faktoren für weitere Familienmitglieder in Frage.

Klar für eine genetische Veranlagung sprechen jedoch die Ergebnisse von Zwillingsuntersuchungen und Adoptionsstudien, die den Anteil der Genetik an der Disposition für Schizophrenie, für schizoaffektive und bipolare Störungen auf bis zu 85 Prozent beziffern. In molekularbiologischen Analysen wurden bei Patienten mit Schizophrenie und bei Patienten mit bipolaren Störungen auch schon mehrere typische Genveränderungen lokalisiert, wobei einige dieser Veränderungen bei den beiden Krankheitsformen gleich seien, sagte Weizman.

Mit bildgebenden Verfahren können inzwischen auch strukturelle Veränderungen im Gehirn von Patienten mit Schizophrenie nachgewiesen werden. Überdurchschnittlich oft findet sich bei diesen Patienten eine signifikante Reduktion der Grauen Substanz in Schläfenlappen, Hippokampus, Thalamus, Amygdala und Cingulum. Ähnliche Veränderungen werden häufig auch bei gesunden Verwandten ersten Grades von Schizophrenie-Kranken und bei Patienten mit bipolaren Störungen nachgewiesen.

Gemeinsamkeiten im Gehirn bei verschiedenen Krankheiten

Gemeinsamkeiten zwischen Schizophrenie und bipolaren Störungen gibt es auch auf Ebene der Neurotransmitter. Sowohl bei Schizophrenie-Kranken als auch bei einem großen Teil der manisch-depressiven Patienten ist eine verstärkte Aktivität des Dopamin-D2-Rezeptors nachweisbar. Entsprechend können Neuroleptika, die solche Rezeptoren blockieren, für beide Patientengruppen nützlich sein.

Sowohl bei Patienten mit Schizophrenie als auch bei bipolar Erkrankten lassen sich verminderte Werte des Enzyms GAD67 nachweisen. Dieses Enzym ist für die Synthese von Gamma-Aminobuttersäure (GABA) entscheidend. GABA ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter im zentralen Nervensystem.

Die überlappende Symptomatik bei bipolaren, depressiven und Schizophrenie-Erkrankungen verleitet in der Praxis nicht selten zu Fehldiagnosen, wie der US-Psychiater Professor Rajiv Tandon betont hat. Vor allem bipolare Störungen sind erheblich unterdiagnostiziert und werden in depressiven Episoden häufig als typische Depression und in manischen Phasen als Schizophrenie verkannt.

Die Fehldiagnose einer bipolaren Störung als Depression ist insofern gefährlich, als eine Arzneitherapie ausschließlich mit Antidepressiva hier manische Episoden auslösen und die Langzeitprognose verschlechtern kann. Depressive bipolar erkrankte Patienten brauchen zusätzlich auch eine Therapie mit stimmungsstabilisierenden Medikamenten wie Lithium oder Antikonvulsiva.

Bei depressiven Patienten ist es deshalb immer nötig, per Anamnese manische oder hypomanische Episoden auszuschließen. Eine vollkommene diagnostische Sicherheit gewährt allerdings auch die gewissenhafteste Anamnese nicht, zumal Patienten mit bipolaren Störungen initial häufig eine Serie ausschließlich depressiver Episoden haben, sagte Tandon. In der Verlaufskontrolle von depressiven Patienten ist deshalb immer auch auf erste Anzeichen einer Manie zu achten.

Bei etwa 50 Prozent aller manischen Episoden von bipolar erkrankten Patienten kämen auch Symptome einer Psychose vor, sagte Tandon weiter. Bei diesen Patienten bestehe dann bei der Diagnose eine Verwechslungsgefahr mit einer Schizophrenie. Vor allem bei geriatrischen Patienten würden ihre manischen Symptome immer wieder einmal auch als Zeichen eines Delirs, einer Demenz oder auch einer agitierten Depression fehlgedeutet.

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