Gastbeitrag

Biertrinker aller Länder vereinigt Euch!

Wäre es sinnvoll, wegen der drastischen Gewichtsentwicklung bei Kindern und Jugendlichen die Werbung außer für Süßigkeiten und Junk-Food auch für Bier einzuschränken? Eine WHO-Expertin hat das kürzlich empfohlen und damit wenig Sachverstand bewiesen.

Von Prof. Stephan Martin Veröffentlicht:
Bier als Ursache von Übergewicht?

Bier als Ursache von Übergewicht?

© karepa /stockadobe.com

In der "Saure-Gurken-Zeit" zwischen Weihnachten und Neujahr können in den Medien häufig Personen und Themen groß herauskommen, die sonst nicht ins Rampenlicht gelangen würden. Aktuell ist dies der Ernährungsexpertin der WHO, Juana F. Willumsen, gelungen. Sie hat der Nachrichtenagentur "dpa" ein Interview zum Thema "dicke Kinder" gegeben, das es in alle renommierten Zeitschriften geschafft hat. Sogar die "Rhön- und Saalepost" und die "Wetterauer Zeitung" haben es abgedruckt.

Dicke Kinder durch Bier?

Nach Auffassung der WHO-Ernährungsexpertin müsse aufgrund der drastischen Gewichtsentwicklung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland die Werbung für Süßigkeiten, Junk-Food und Bier eingeschränkt werden. Die freiwillige Selbstkontrolle reiche anscheinend nicht aus. Speziell Bier mache nach ihrer Auffassung besonders dick. Zwar erscheint der Zusammenhang von "Bierwerbung" und "dicken Kinder" erklärungsbedürftig, doch gibt es überhaupt eine wissenschaftliche Grundlage für die Behauptung, dass speziell Bier besonders dick macht?

Bierkonsum und Gewicht analysiert

Zuerst einmal fühle ich mich als überzeugter Weintrinker, dessen jährlicher Bierkonsum unter der täglichen Menge eines mittleren Oberbayerns liegt, frei von Interessenkonflikten – auch wenn ich aus Düsseldorf komme. Wenn man die wissenschaftliche Literatur nach "Bierkonsum und Übergewicht" im Erwachsenenalter durchsucht, fällt eine erst im Herbst 2017 hochrangig publizierte Arbeit auf, bei der 14.971 Männer über 24 Jahre hinsichtlich des Einflusses einer Änderung des Alkoholkonsums auf das Körpergewicht untersucht wurden (Obesity 2017; online 20. September). Dabei handelte es sich um Teilnehmer der Health Professional Follow-up Studie in den USA, bei der alle vier Jahre der Konsum von Alkohol und speziell Bier oder Wein abgefragt wurde.

"Kein Grund für Empfehlungen"

In den Analysen hat man sich Änderungen des Alkoholkonsums angeschaut und deren Einfluss auf das Gewicht nach Adjustierung für Alter, Änderungen des Lebensstils, Ernährung und kardiovaskuläre Risikofaktoren berechnet. Jedes zusätzliche alkoholische Getränk war in den jeweiligen vierjährigen Beobachtungsintervallen mit einer Gewichtszunahme von 103 g (0,23 US-Pound), assoziiert. Für jedes zusätzliche Glas Bier stieg das Gewicht in vier Jahren um 130 g und für Wein um 72 g. Die Autoren folgern aus den Daten, dass eine Erhöhung des Alkoholkonsums zwar mit leichter Gewichtszunahme assoziiert ist, die Getränke-spezifischen Unterschiede aber zu gering seien, um Empfehlungen auszusprechen.

Was können wir aus diesen Daten im Hinblick auf das Interview der WHO-Expertin lernen? Zum einen scheint wohl bei den Gazetten in Deutschland, die dieses Interview unreflektiert übernommen haben, nicht nur "Saure-Gurken-Zeit", sondern auch Urlaubszeit für die Wissenschaftsredakteure geherrscht zu haben. Der Begriff "WHO" scheint zudem nicht automatisch ein Qualitätssiegel für eine medizinisch fundierte Expertenmeinung zu sein.

Gewichtszunahme bei Kindern und Erwachsenen ist ein wirkliches Problem, das nicht durch irgendwelche Verbote von Werbung gelöst werden kann. Wichtig ist die Stärkung der Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Dafür benötigen sie Informationen, die wissenschaftlich fundiert sind und die sich nicht jede Woche widersprechen. Diese Verantwortung liegt bei den Medien; im konkreten Fall sind sie dieser nicht gerecht geworden. Als Weintrinker kann man wohl nur den Ratschlag geben: Biertrinker und Bierbrauer aller Länder vereinigt Euch!

Professor Stephan Martin ist Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ) in Düsseldorf.

Lesen Sie dazu auch: Der große Zuckerschock: Darf‘s ein bisschen weniger Zucker sein?

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