Interview

DKMS - eine einzigartige Erfolgsgeschichte

Das Schicksal der 42-jährigen Leukämiekranken Mechtild Harf war Anlass für die Gründung der DKMS Deutsche Knochenmarkspenderdatei vor genau 20 Jahren. Heute ist die DKMS die weltweit größte Stammzelldatenbank, mehr als 25.000 Patienten erhielten bislang Transplantate von der DKMS. Gegründet hat die DKMS vor zwei Dekaden Professor Gerhard Ehninger, heute Direktor der Medizinischen Klinik I der Uniklinik Dresden.

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Statt Stammzellen aus dem Knochenmark werden heute bevorzugt solche Zellen aus dem peripheren Blut gespendet.

Statt Stammzellen aus dem Knochenmark werden heute bevorzugt solche Zellen aus dem peripheren Blut gespendet.

© DKMS

Ärzte Zeitung: Warum hat man vor 20 Jahren nur so schwer einen Stammzellspender für Mechtild Harf gefunden?

Prof. Gerhard Ehninger

© Uniklinikum Dresden

Aktuelle Position: Direktor der Medizinischen Klinik I des Uniklinikums Dresden

Werdegang / Ausbildung: 1985 Facharztanerkennung als Internist 1988 Teilgebiets­bezeichnung Hämatologie und Onkologie Seit 2004 Geschäftsführender Vorsitzender DGHO Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Hämatologie und Onkologie

Professor Gerhard Ehninger: Damals gab es in Deutschland lediglich 6000 typisierte Spender. Etwa 10 bis 15 Prozent der Leukämiepatienten, die eine Stammzellspende benötigt hätten, wurden damit fündig. Weiteren 25 Prozent konnte über internationale Kooperationen geholfen werden.

Insgesamt war das eine sehr unbefriedigende Situation. Es hat letztendlich den Anstoß durch eine betroffene Familie gebraucht und auch die Professionalität, die durch den international renommierten Geschäftsmann Dr. Peter Harf dazu kam.

Wir haben damals unser Knowhow zusammengetan und am 28. Mai 1991 in Tübingen die DKMS gegründet. Bereits im Gründungsjahr ließen sich über 68.000 potentielle Spender registrieren; bis heute sind es fast 2,5 Millionen.

Ärzte Zeitung: Sie sagen, die Spendersuche war früher sehr langwierig und aufwändig. Das ist doch auch heute noch so, wenn die DKMS in besonderen Fällen zu Typisierungsaktionen aufruft.

Ehninger: Das stimmt nur teilweise. Für Patienten mit einem weit verbreiteten Gewebetyp können wir heute innerhalb von wenigen Tagen einen Spender bereitstellen. Lange dauert es dagegen bei sehr seltenen Gewebemerkmalen, für die weltweit eventuell nur ein oder zwei Spender in Frage kommen.

Insgesamt haben wir aber eine Professionalität entwickelt, wo wir sagen können, im Mittel haben wir nach vier Wochen einen Spender identifiziert, der bereit ist zu spenden.

Ärzte Zeitung: Wie vielen Patienten konnte die DKMS helfen?

Ehninger: Da gibt es eindrucksvolle Zahlen: In den vergangenen 20 Jahren hat die DKMS über 25.000 Stammzellentnahmen organisiert, mehr als 4100 allein im vergangenen Jahr. Weltweit werden über 30 Prozent der Stammzelltransplantationen durch die DKMS möglich gemacht.

Ärzte Zeitung: Was hat sich in den vergangenen 20 Jahren auf medizinischem Gebiet verbessert?

Ehninger: Die Qualität der Typisierung hat große Fortschritte gemacht, so dass bei übereinstimmenden Gewebemerkmalen nach dem HLA-System häufig unmittelbar ein Spender identifiziert werden kann. Die Bestimmung des HLA-Typus erfolgt seit Jahren mit molekularbiologischen Sequenzierungsverfahren.

Diese so genannte hochauflösende Typisierung macht weitergehende Untersuchungen wie die Bestätigungstypisierung überflüssig. Das erleichtert das Verfahren und spart Zeit. Und entscheidend ist natürlich, dass wir heute einer größeren Patientengruppe helfen können.

Ärzte Zeitung: Also nicht mehr nur den jungen Menschen?

Ehninger: Richtig, die Zahl der Transplantationen nimmt von Jahr zu Jahr zu, weil wir die Altersgrenze immer weiter nach oben verschieben konnten. Als wir in den 80er Jahren die ersten Leukämiepatienten transplantiert haben, lag die obere Altersgrenze bei 30 bis 35 Jahren, heute behandeln wir Patienten im guten Allgemeinzustand auch noch mit 70 Jahren.

Die Transplantation ist nicht mehr so belastend wie früher und gleichzeitig sehr erfolgreich. Die Überlebensraten, etwa bei jüngeren AML-Patienten, liegen zwischen 70 und 80 Prozent. Und auch bei fortgeschrittenen Erkrankungen können trotz Rückfallgefahr immer noch 30 bis 40 Prozent der Patienten gerettet werden - Heilung ist also auch in solch schweren Fällen möglich.

Ärzte Zeitung: 20 Jahre DKMS - eine einzige Erfolgsgeschichte. Was kann verbessert werden?

Ehninger: Wir wünschen uns, dass die Kosten, die die Therapien verursachen, nicht die Indikation eingrenzen. Probleme bereitet uns der Import von Blutprodukten, der dem Arzneimittelgesetz unterliegt. Hier müssen sehr strenge Auflagen erfüllt werden. Wenn wir einen Geburtstagswunsch hätten, wünschen wir uns hier eine maßvolle Novellierung des Gesetzes durch den neuen Bundesgesundheitsminister.

Ärzte Zeitung: Gibt es außer Mechtild Harf, die damals nach der Transplantation an den Folgen einer Lungenentzündung starb, ein weiteres Patientenschicksal, das sie ähnlich bewegt?

Ehninger: Was mich als Arzt bis heute motiviert, ist die erste Transplantation, die wir 1986 in Tübingen gemacht haben. Der junge Patient war schwer krank, Spender- und Empfängergewebe waren nicht identisch.

Er ist in die USA geflogen; dort wurde der Eingriff abgelehnt. Der Patient wurde wieder gesund, hat dann selbst Medizin studiert und führt noch heute eine Facharztpraxis. Diese Hoffnung, dass auch ein schwer kranker Krebspatient gesund werden kann, treibt mich an.

Wenn ich an die Patienten denke, die wir damals abgelehnt haben, weil sie vermeintlich zu alt waren - diese Entscheidungen gehen mir noch heute sehr nah.

Das Interview führte Uwe Groenewold

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