Ausgeschlossen

Diabetiker im Alltag oft benachteiligt

Ausschluss vom Schulsport oder von Wandertagen, schwieriger Einstieg ins Berufsleben, Probleme mit dem Führerschein, Ausschluss oder Risikozuschläge bei Versicherungen – Diabetiker sind in vielfältiger Weise sozial und ökonomisch benachteiligt.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Bei Diabetes können krankheitsbedingte Komplikationen die Fahrtauglichkeit beeinflussen. Allerdings haben Studien ergeben, dass Diabetiker im Straßenverkehr eher seltener auffällig werden als Gesunde.

Bei Diabetes können krankheitsbedingte Komplikationen die Fahrtauglichkeit beeinflussen. Allerdings haben Studien ergeben, dass Diabetiker im Straßenverkehr eher seltener auffällig werden als Gesunde.

© ambrozinio / Fotolia

BERLIN. "Die möglichen Auswirkungen der chronischen Stoffwechselerkrankung auf das Leistungsvermögen, die Lebensqualität und die Lebensdauer haben eine enorme soziale Dimension." In dem jüngst erschienenen Buch "Deutscher Gesundheitsbericht. Diabetes 2017", herausgegeben von der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, werden auch die sozioökonomischen und kulturellen Aspekte der Volkskrankheit beleuchtet.

Für Typ-1-Diabetiker und ihre Eltern beginnen die Probleme spätestens in der Schule, teils auch schon im Kindergarten. Sie werden ausgeschlossen vom Sportunterricht und Wettkämpfen, sie dürfen nicht an Wandertagen, Schulausflügen oder Klassenfahrten teilnehmen.

Lehrer sehen sich außerstande, die Verantwortung beim Auftreten von Gesundheitsproblemen der jungen Diabetiker zu übernehmen. Sie fürchten Haftungsrisiken. Aber auch mangelhafte Information führt dazu, dass das Postulat nach Inklusion zur Leerformel wird.

Materielle Belastungen

Der zusätzliche Aufwand für die Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes führt nicht selten dazu, dass (meist) die Mütter eine Berufstätigkeit aufgeben müssen, somit auch Einkommenseinbußen für die betroffenen Familien entsteht. Eine Kompensation, etwa in Form eines Pflegegeldes, gibt es nicht.

Immaterielle Belastungen treten hinzu: Fehlende Zeit für die gesunden Geschwisterkinder, Probleme in der Pubertät, Herausforderungen bei der Transition, Sorge um die Ausbildung und den zukünftigen Beruf.

Im Beruf, so der Bericht, müssen Menschen mit Diabetes mit vielfältigen Diskriminierungen rechnen. Einige Berufe sind aus Haftungsgründen, wegen Selbstgefährdung oder Risiken für Dritte ausgeschlossen. Oft würden Arbeitsmediziner veraltete Eignungsrichtlinien verwenden. Ermessensspielräume blieben ungenutzt, häufig unterbleibe eine Einzelfallprüfung.

Berufe mit besonderen Risiken

Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft fordert, arbeitsmedizinische Empfehlungen und berufsgenossenschaftliche Grundsätze zu überprüfen und vor dem Hintergrund der Möglichkeiten moderner Diabetestherapie zu aktualisieren. Neue Empfehlungen der Fachgesellschaft haben den Paradigmenwechsel von der Defizitorientierung zur Ressourcenorientierung vollzogen.

Dezidiert wird dabei eine individuelle Beurteilung der tatsächlichen Gefährdung und der jeweiligen Leistungsfähigkeit gefordert. Vor allem sollten dabei auch Kompensationsmöglichkeiten von Eignungsmängel einbezogen werden. Wie die Arbeitsfähigkeit von Diabetespatienten erhalten werden kann, welche Berufe besondere Risiken bergen und wie Arbeitgeber zu einer sachgerechten Bewertung kommen, wird im Leitfaden für Betriebsärzte zu Diabetes und Beruf dargestellt; hier haben Deutsche Diabetes-Gesellschaft und gesetzliche Unfallversicherung zusammengearbeitet.

Diskriminierung bei der Fahrerlaubnis

Eine besondere Hürde stellt die Verbeamtung von Diabetikern dar. Nach einer vor vier Jahren ergangenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Az 2 C12.11 vom 25.7.2013) kann die Verbeamtung verweigert werden, wenn aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen eine vorzeitige Pensionierung als wahrscheinlich gilt.

Erleichterungen hat der Gesetzgeber nur für schwerbehinderte Bewerber vorgesehen – die für Diabetiker aber oft nicht anerkannt wird.

Als weiteres Problem stellt die Diskriminierung von Diabetikern bei der Erteilung oder Verlängerung der Facherlaubnis dar. Bei Diabetes können krankheitsbedingte Komplikationen (zum Beispiel Hypoglykämien) zu einer Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit führen. Allerdings zeigten wissenschaftliche Untersuchungen, dass Diabetiker im Straßenverkehr eher seltener auffällig werden als Gesunde.

Leitlinie zur Fahrtauglichkeit soll erarbeitet werden

Beklagt wird, dass jedoch mitunter allein aufgrund der Diabeteserkrankung – ohne konkrete Zweifel an der Eignung – eine kostenaufwendige Begutachtung auferlegt, was was für die Betroffenen eine Diskriminierung bedeutet.

Es gibt allerdings auch Fortschritte: 2014 hat die Bundesanstalt für Straßenwesen eine neue Fassung der "Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung" veröffentlicht. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft sieht darin "eine deutliche Verbesserung" für Diabetiker. Darin werden "unmissverständlich" klargestellt, dass die Teilnahme am Straßenverkehr mit Diabetes möglich ist und Diabetes kein grundsätzliches Hindernis für das Fahren von Lastwagen über 3,5 Tonnen ist.

Gut eingestellten und geschulten Diabetikern kann danach auch die Personenbeförderung erlaubt werden. Das gilt auch für Insulin-pflichtige Diabetiker – was zuvor deutlich restriktiver gehandhabt wurde.

Inzwischen hat der Ausschuss Soziales der Deutschen Diabetes-Gesellschaft den Auftrag erhalten, gemeinsam mit anderen betroffenen Fachgesellschaften europaweit eine erste medizinische Leitlinie zum Thema Fahrtauglichkeit zu erarbeiten.

Anerkennung der Schwerbehinderung erheblich erschwert

Erheblich erschwert worden ist jedoch die Anerkennung einer Schwerbehinderung von 50 Prozent.

Während dies bei anderen Erkrankungen, insbesondere bei der Diagnose Krebs ein Automatismus ist, den die Versorgungsämter allein aufgrund der Diagnose schematisch und ohne jegliche Prüfung administrieren, ist die Anerkennung der Schwerbehinderung bei Diabetikern erstens auf Insulinpflicht (mindestens viermalige Gabe täglich, selbstständig variiert in Abhängigkeit von Belastung, Mahlzeit, individuellem Blutzucker) und zweitens von einer im Einzelfall belegten und begründeten Einschränkung der Lebensführung abhängig.

Dabei hat das Bundessozialgericht die Schraube noch einmal angezogen und fordert eine erhebliche Teilhabestörung.

Diskriminierung beim Zugang zu Versicherungen

Eine weitere Benachteiligung mit erhebliche wirtschaftlichen Folgewirkungen ergibt sich aus der Diskriminierung beim Zugang zu Versicherungen. Das gilt etwa beim Abschluss von Kranken-, Unfall-, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherungen. Der diskriminierungsfreie Zugang zu gesetzlichen Versicherungen und der damit erreichbare Schutz ist keineswegs umfassend – und politisch auch nicht gewollt. Siehe Pflegeversicherung als Teilkasko oder das politische Postulat nach zusätzlicher privater Altersvorsorge.

"Hier ist festzustellen, dass chronisch Kranke wie Diabetiker sich häufig nur gegen einen unverhältnismäßigen Beitrag infolge hoher Risikozuschläge versichern können oder gar nicht von privaten Versicherern akzeptiert werden.

Diskriminierung:

Schule: Keine Teilnahme am Schulsport und Klassenfahrten, Unkenntnis bei Lehrern, Haftungsrisiken.

Beruf: Erschwerter Einstieg, veraltete Begutachtungsrichtlinien, Berufsausschlüsse, Hürden für die Verbeamtung.

Verkehr: Schwierigkeiten bei der Erlangung der Fahrerlaubnis.

Ihr Newsletter zum Thema
Lesen sie auch
Mehr zum Thema

Perioperative Komplikationen

Allgemeinchirurgie: HbA1c präoperativ bestimmen!

Das könnte Sie auch interessieren
Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

© Aleksandr | colourbox.de

Fatal verkannt

Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

© polkadot - stock.adobe.com

Vitamin-B12-Mangel

Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
B12-Mangel durch PPI & Metformin

© Pixel-Shot - stock.adobe.com

Achtung Vitamin-Falle

B12-Mangel durch PPI & Metformin

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Porträts: [M] Feldkamp; Luster | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

© Portraits: [M] Feldkamp; Luster | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

„ÄrzteTag extra“-Podcast

Die Schilddrüse tickt in jedem Lebensalter anders

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main
Abb. 1: Studie DECLARE-TIMI 58: primärer Endpunkt „kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz“ in der Gesamtkohorte

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [4]

Diabetes mellitus Typ 2

Diabetes mellitus Typ 2 Präventiv statt reaktiv: Bei Typ-2-Diabetes mit Risikokonstellation Folgeerkrankungen verhindern

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg
Porträt: Dr. Jörg Sandmann | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

© Porträt: Dr. Jörg Sandmann | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

„ÄrzteTag extra“-Podcast

Der hypogonadale Patient in der Hausarztpraxis

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Besins Healthcare Germany GmbH, Berlin
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Lungensurfactant

Warum Seufzen der Atmung gut tut

Lesetipps
Der Rücken eines Mannes mit Gürtelrose zeigt Vesikel.

© Chinamon / stock.adobe.com

Alter für Indikationsimpfung herabgesetzt

STIKO ändert Empfehlung zur Herpes zoster-Impfung

Mammografie-Screening bei einer Patientin

© pixelfit / Getty Images / iStock

Prävention

Mammografie-Screening: Das sind Hindernisse und Motivatoren