Interview

"Die STIKO ist sicher nicht dazu da, die Profite der Impfstoffhersteller zu steigern"

Seit Mitte Februar ist Dr. Jan Leidel neuer Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO). Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" bekennt er sich klar zur Evidenzbasierten Medizin. STIKO-Entscheidungen sollen künftig noch transparenter als bisher vermittelt werden, und mit Impfskeptikern will er verstärkt den Dialog aufnehmen.

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Dr. Jan Leidel

© privat

Aktuelle Position: Dr. Jan Leidel ist seit Februar 2011 Vorsitzender der Ständigen Impfkommission.

Werdegang: Leidel hat 1964 bis 1970 Humanmedizin in Gießen studiert und von 1971 bis 1977 an den Instituten für Virologie der Universitäten Gießen und Köln geforscht.

Karriere: Als Arzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie sowie für öffentliches Gesundheitswesen war er von 1985 bis zur Pensionierung 2009 Leiter des Kölner Gesundheitsamts.

Ärzte Zeitung: Ein Drittel der Menschen in Deutschland hat nach Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Vorbehalte gegen einzelne Impfungen. Wie lassen sich Skeptiker überzeugen?

Dr. Jan Leidel: Hierfür ist ein Dialog auf allen Ebenen nötig. Alle beteiligten Institutionen müssen da geschlossener als bisher auftreten. Deutschland hat mit 16 Bundesländern ausgesprochen zersplitterte Zuständigkeiten im öffentlichen Gesundheitsdienst.

Organe der ärztlichen Selbstverwaltung, Fachgesellschaften und andere führen zu einer Pluralität an Meinungen. Das macht das Land bunt und demokratisch, darf aber nicht zu einer Beliebigkeit von Meinungen und Entscheidungen führen wie bei der pandemischen Influenza.

Ich bitte die Skeptiker um einen Vertrauensvorschuss. Die STIKO ist sicher nicht dazu da, die Profite der Impfstoffhersteller zu steigern, sondern soll dazu beitragen, schwere Krankheiten und Todesfälle zu verhindern. Dabei formuliert sie ihre Empfehlungen transparent und auf wissenschaftlicher Grundlage.

Ärzte Zeitung: Ihr Vorgänger als STIKO-Vorsitzender, Professor Friedrich Hofmann, ist zurückgetreten und hat das Gremium verlassen. Er fühlte sich zu wenig vom Gesundheitsministerium unterstützt und fand die Art der Berufung neuer Mitglieder intransparent. Können Sie die Vorwürfe nachvollziehen?

Leidel: Eigentlich nicht. STIKO-Mitglieder werden für drei Jahre berufen. Es ist normal, dass es nach Ablauf der Zeit Neubesetzungen geben kann. Wenn das Ministerium Umbesetzungen jeweils begründen müsste, würde es leicht zu Berufungen auf Lebenszeit kommen -  das wäre nicht wünschenswert.

Zum Vorwurf der mangelhaften Unterstützung muss man sich in der Tat fragen, was ein ehrenamtliches Gremium wie die STIKO leisten kann. Die Unterstützung ist in den vergangenen Jahren aber ausgebaut worden. Wir haben zum Beispiel beim Robert Koch-Institut eine leistungsstärkere Geschäftsstelle, die uns etwa durch Analyse der wissenschaftlichen Literatur zuarbeitet.

Ärzte Zeitung: Wie lässt sich das Image der STIKO verbessern?

Leidel: Ich glaube, das Image der STIKO ist bei den Kollegen gar nicht so schlecht. Ich würde es gerne durch ein besseres Eingehen auf Probleme in der Praxis weiter fördern. Es ist uns aber sowohl bei der HPV-Impfung als auch bei der Grippe-Pandemie viel Kritik entgegen geschlagen.

Wir müssen deshalb künftig noch deutlicher machen, wie wir zu unseren Empfehlungen kommen. Wir orientieren uns dabei an der Evidenz aus Studiendaten, mit der standardisierte Fragen überprüft werden, zum Beispiel: Wie pathogen und wie infektiös ist ein Erreger?

Gibt es alternativ zur Impfung gute Therapieoptionen? Was wollen wir mit der Impfung verhindern? Mit welchen Strategien ist das Impfziel zu erreichen?

Bei der Grippepandemie war die Studienlage zum Teil so dünn, dass manche STIKO-Mitglieder am liebsten zu einigen Punkten überhaupt keine Empfehlung ausgesprochen hätten. Das wäre aber dann dem Auftrag auch nicht gerecht geworden.

Ärzte Zeitung: Mit welchen Impfungen wird sich die STIKO als nächstes befassen?

Leidel: Sicher mit der Rotavirus-Impfung, mit der Pneumokokken-Konjugatimpfung für Erwachsene, der Impfung gegen Herpes zoster und - wie seinerzeit versprochen - mit einer Neubewertung der Varizellen-Impfung.

 Es gibt auch kleinere Baustellen: Muss der Hepatitis-B-Schutz nach der Säuglingsimpfung aufgefrischt werden? Wie lassen sich versäumte Impfungen bei Erwachsenen nachholen? Es gibt ja keine Pertussis-Monoimpfstoffe mehr, und die Kombi-Impfstoffe sind nicht zur Grundimmunisierung zugelassen.

Ärzte Zeitung: Wie soll das Problem der niedrigen Impfraten angegangen werden?

Leidel: Der STIKO fehlen die Instrumentarien, die Umsetzung von Impfungen zu fördern. Das Hauptproblem sind bei uns die Impflücken älterer Kinder, Jugendlicher und Erwachsener, etwa bei Masern. Und es bedrückt mich, wie schlecht die HPV-Impfung angenommen wird.

Es ist die Aufgabe von Robert Koch-Institut und Gesundheitsministerium, mit epidemiologischen Studien die Situation bei einzelnen Krankheiten zu klären. Der öffentliche Gesundheitsdienst sollte künftig flächendeckend und systematisch die Impflücken angehen. Nach Paragraf 20d im Sozialgesetzbuch V sind die Kassen schließlich gehalten, sich an solchen Impfkampagnen auf Länderebene finanziell zu beteiligen.

Das Gespräch führte Wolfgang Geissel

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