Neues Schmerzmittel

Effektiv wie Morphin, aber keine Opioid-Nebeneffekte

Ein Forscherteam mit Beteiligung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat ein neues Opioid-Schmerzmittel entwickelt. Das Besondere: Das neue Analgetikum scheint kaum schwerwiegende Nebenwirkungen zu verursachen.

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ERLANGEN / NÜRNBERG. Pharmazeutische Chemiker weltweit forschen seit Jahren an der Entwicklung neuer Analgetika mit möglichst wenig unerwünschten Effekten. Die bisherigen Studien beschränkten sich jedoch darauf, die klassischen Opiate zu optimieren, erinnert die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) in einer Mitteilung.

Die Entwicklung eines völlig neuen Schmerzmittels sei nun einem internationalen Team der FAU, der Stanford University, der University of California, San Francisco (UCSF) und der University of North Carolina (UNC) gelungen (Nature 2016; online 17. August). Im Modellversuch hätten die Forscher nachgewiesen, dass ihr neuer Wirkstoff PZM21, der keinerlei chemische Ähnlichkeit mit den bisherigen Opiaten besitzt, genauso effektiv wie Morphin Schmerzen lindert. Atemdepression sowie Abhängigkeit hätten hingegen nicht nachgewiesen werden können, so die FAU. Im Rahmen der weiteren Entwicklung soll untersucht werden, ob ähnlich hoffnungsvolle Ergebnisse auch beim Menschen erzielt werden können.

Internationale Teamarbeit

Um den maßgeschneiderten Wirkstoff zu entwickeln, nutzten die Forscher die Struktur des sogenannten µ-Opioidrezeptors, dem wichtigsten Angriffspunkt für starke Schmerzmittel auf Opiatbasis. Diese wurde von der Arbeitsgruppe um den Nobelpreisträger und Stanford-Professor Brian Kobilka unter Beteiligung von FAU-Professor Peter Gmeiner, Lehrstuhl für Pharmazeutische Chemie, aufgeklärt. Beide arbeiteten nun an den neuen Ergebnissen maßgeblich mit, meldet die FAU

Mit Hilfe des sogenannten Docking-Verfahrens berechnete die Arbeitsgruppe um Professor Brian Shoichet von der UCSF zunächst an einem Hochleistungsrechner, welche von mehr als drei Millionen potenziellen Wirkstoffen am geeignetsten erscheinen, mit dem µ-Opioidrezeptor zu interagieren. Dies führte zu 23 Molekülen, die die Arbeitsgruppe von Professor Bryan Roth an der University of North Carolina experimentell auf ihre Rezeptorbindung hin untersuchte, um einen vielversprechenden Treffer herauszufiltern.

Molekülstruktur wurde verändert

Während starke Arzneistoffe in nanomolaren Konzentrationen am Rezeptor wirken - dies entspricht etwa der Konzentration eines gelösten Zuckerwürfels in einem Schwimmbecken -, erkennen Treffer aus computerunterstützten Docking-Prozessen ihren Angriffspunkt nur in mikromolarer Konzentration. Die Molekülstruktur wurde deshalb von der FAU-Arbeitsgruppe um Gmeiner so verändert, dass sich ihre Wirksamkeit wesentlich erhöhte, heißt es in der Mitteilung der FAU. Ihre Experimente führten schließlich zum hochaktiven Wirkstoffmolekül PZM21.

"Interessanterweise handelt es sich bei PZM21 um einen funktionell selektiven Wirkstoff. Er ist in der Lage sogenannte G-Proteine, die mit dem Rezeptor in Wechselwirkung stehen, zu aktivieren, nicht jedoch das Signalmolekül ß-Arrestin, das für die Opioid-typischen Nebenwirkungen verantwortlich ist", wird Gmeiner zitiert.

Erfolge im Tiermodell

Weiter gelang es, durch sogenannte Struktur-Wirkungs-Untersuchungen und Molekular-Dynamic-Simulationen die Bindungsposition von PZM21 im Rezeptor zu bestimmen - eine Erkenntnis, die für die Übertragung des Prinzips der funktionellen Selektivität auf andere pharmazeutisch relevante G-Protein gekoppelte Rezeptoren wichtig ist. Das Ziel soll auch hier die Entwicklung neuartiger Arzneistoffkandidaten ohne Nebenwirkungen sein.

Vielfältige Untersuchungen der pharmakologischen Arbeitsgruppen zeigten schließlich in vitro und im Tiermodell das gewünschte Ergebnis: starke schmerzreduzierende Eigenschaften, jedoch keine Zeichen für Atemstillstand oder suchttypisches Verhalten sowie kaum Verstopfung - eine weitere Nebenwirkung unter der Schmerzpatienten ja oft leiden.

 "Dieser vielversprechende Medikamentenansatz wurde durch eine sehr intensive interdisziplinäre, interkontinentale Kombination von computerbasiertem Wirkstoffscreening, pharmazeutischer Chemie sowie durch umfassende vorklinische Untersuchungen ermöglicht", so Nobelpreisträger Kobilka von der Standford University in der Mitteilung der FAU.

"Hätte man nur einen dieser Mitglieder weggelassen, hätte es nicht funktioniert. Ohne Kobilkas Struktur, unserer Rechenleistung, Roths Pharmakologie und Gmeiners Fähigkeit, ein Atom genau da zu platzieren, wo man es haben möchte, wäre diese Entdeckung niemals möglich gewesen", ergänzt Professor Brian Shoichet, Professor für Pharmazeutische Chemie an der UCSF.Um den Wirkstoff tatsächlich als Medikament auf den Markt zu bringen, sind noch viele ausführliche Experimente und klinische Studien notwendig. Um PZM21 - oder einen davon abgeleiteten Wirkstoff - als potenzielles Schmerzmittel mit geringen Nebenwirkungen weiterzuentwickeln, haben Gmeiner und seine Kollegen gemeinsam die Firma Epiodyne Inc. gegründet. (eb)

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