Glosse

Ein Hoch auf die kreative Impfwillkür!

Impfen ohne genügend Impfstoff – und beinahe täglich neue Regeln, Empfehlungen, Vorgaben. Endlich dürfen sich Ärzte und Praxisteams freuen, mal so richtig gefordert zu sein. Eine Glosse wider den Wahnsinn.

Dr. Michael KudernaVon Dr. Michael Kuderna Veröffentlicht:

Jetzt haben unsere Politiker also das Ei des Kolumbus gefunden: Wer mag, kann seine Patienten sofort mit AstraZeneca impfen – ganz ohne Priorisierung. Als Anreiz wird der empfohlene Abstand zur Zweitimpfung kurzentschlossen um zwei Drittel verringert.

Wem das seltsam oder gar willkürlich vorkommt, mit dem dürfen dann die Hausärzte diskutieren. Die können neben der besonders sorgfältigen Aufklärung schließlich locker auch noch die Terminlage der Patienten berücksichtigen: Sie wollen Ende Juni in Urlaub fliegen? Dann kommen Sie eben in vier Wochen wieder. Bei Ihnen ist Urlaub erst Ende August angesagt? Dann sehen wir uns in zwölf Wochen wieder, das erhöht auch Ihren Schutz.

Wie sich das Praxispersonal freut, endlich mal so richtig gefordert zu sein. Die Impfzentren mögen derweil mit dem Zehnfachen an Kosten vorrangig die beliebte Vakzine von BioNTec verimpfen und mithilfe von Fremdfirmen klare Terminvorgaben machen.

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Und was die generelle Reihenfolge anlangt: Mit ein bisschen Grips können wir doch die Prioritätsgruppe 3 weiter ausdehnen, bis alle erfasst sind. Wer nicht alt genug ist, für den finden wir eine andere Begründung: Vorerkrankungen, Berufsbonus vom Busfahrer bis zum Journalisten, Ehrenamt, Wohnung in „sozial strukturell benachteiligten“ Vierteln, Mitarbeiter in der Gastronomie – fehlt wer?

Ach, Sie sind 50, haben keine pflegebedürftige Tante, gehen täglich brav in einem kleinen Betrieb arbeiten und steigern so unser Bruttosozialprodukt? Für solche Exoten sollten wir schleunigst „Impflotsen“ einstellen und qualifizieren, damit sich doch für jeden gefühlt ein schneller Weg findet. Über irgendeinen Innovationsfonds lässt sich das bestimmt darstellen.

Bei so viel Kreativität, wie sie derzeit aufblüht, ist es nur jammerschade, dass wir im Herbst wieder in die Mühen der Ebene, also des längst überwundenen Alltags, zurückfallen. Gott sei Dank ist der Impfstoff noch eine Weile so knapp, dass wir uns noch ein paar Wochen auf immer neue Empfehlungen, Regeln und Ausnahmen freuen können – auch wenn sich der begehrte Impfstoff dadurch um keine Dose vermehrt.

Schreiben Sie dem Autor: gp@springer.com

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