Kein Fortkommen

Europäische Impfwoche: Same procedure as last year!

Während der Europäischen Impfwoche wird auch in Deutschland über den großen Nutzen von Schutzimpfungen aufgeklärt. Am Beispiel Masern werden jedoch die beträchtlichen Defizite deutlich – und dass es seit Jahren kaum Fortschritte gibt.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Die Europäische Impfwoche offenbart erneut große Defizite beim Impfen.

Die Europäische Impfwoche offenbart erneut große Defizite beim Impfen.

© Klaus-Dietmar Gabbert / dpa / picture alliance

Alle Jahre wieder in der "Europäischen Impfwoche" werden die mageren Fortschritte und auch die weiterhin bestehenden Defizite in der Impfmedizin verkündet. Die Verlautbarungen aus Politik und Gesundheitsinstitutionen verdeutlichen dabei den Stillstand: Irgendwie ist auch in diesem Jahr alles genauso geblieben wie vorher.

Ein gutes Beispiel dafür ist eine gemeinsame Meldung von Robert Koch-Institut (RKI), Bundesgesundheitsministerium und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Dort werden vor allem die Entwicklungen bei den Masern geschildert. Das RKI präsentiert dazu neue Daten zu Impfquoten bei den Schulanfängern (Epi Bull. 2018; 16: 151).

Bei den Sechsjährigen haben danach erstmals alle Bundesländer bei der ersten Masernimpfung im Jahr 2016 die Impfquote von 95 Prozent erreicht. Bei der entscheidenden zweiten Masernimpfung sei die bundesweite Impfquote aber nur geringfügig auf 92,9 Prozent gestiegen. – Sieht doch gar nicht so schlecht aus, denkt man sich.

Trotzdem schimpft der neue Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in der Meldung: "Es ist verantwortungslos, Kinder nicht gegen Masern impfen zu lassen oder eigene Impflücken hinzunehmen. Wir brauchen bundesweit eine Impfquote von 95 Prozent für die zweite Impfung, damit diese ansteckende Virus-Erkrankung ausgerottet wird."

Wenn diese paar Prozentpunkte bei den ABC-Schützen denn reichen! Dass es 2017 in Deutschland mit 929 gemeldeten Masernkranken fast dreimal so viele Fälle gegeben hat wie das Jahr davor, liegt aber eigentlich gar nicht an den Impflücken bei den Kindern. Schon seit Jahren sind die allermeisten Patienten mit Masern in Deutschland Jugendliche und Erwachsene. Und hier sind die Impfraten wirklich grottenschlecht. Das will aber offenbar kaum jemand wissen, denn aktuelle Daten dazu gibt es nicht und sie werden auch nicht systematisch erhoben.

180.000 Zweijährige ohne ausreichenden Schutz

Das RKI warnt zudem, dass es in Deutschland weiterhin jährlich im Schnitt drei bis sieben Todesfälle durch Masern oder die Masernfolge SSPE gibt. Aber auch das liegt weniger an den Impfdefiziten bei den ABC-Schützen, sondern eher an der Tatsache, dass Kleinkinder nicht rechtzeitig geimpft werden. So waren nur 73,7 Prozent des Geburtsjahrgangs 2013 am Ende des zweiten Lebensjahres gemäß den STIKO-Empfehlungen zweimal gegen Masern geimpft.

"Damit ist jedes Jahr bei rund 180.000 Zweijährigen in Deutschland ein ausreichender Schutz gegen Masern ungewiss, oder sie sind gar nicht geimpft, das ist ein unhaltbarer Zustand", kritisierte im vergangenen Jahr der RKI-Präsident Professor Lothar H. Wieler zur Impfwoche. Aus der aktuellen Meldung ist jetzt zu entnehmen, dass die Quote beim Geburtsjahrgang 2014 nur um 0,2 Prozent höher liegt. Auch dies ist bedenklich, weil Masern in den ersten beiden Lebensjahren besonders gefährlich sind.

Die guten Schutzraten bei den Schulanfängern täuschen zudem über die extremen Unterschiede bei den Quoten in einzelnen Landkreisen in Deutschland hin. So zieht sich zum Beispiel durch den Süden von Bayern und Baden Württemberg eine zusammenhängende wohlhabende Region mit vielen Akademikern, die geprägt ist von Impfskepsis.

 Nach aktuellen Zahlen sind zum Beispiel in den bayerischen Landkreisen Garmisch-Partenkirchen, Bad Tölz und Traunstein nur 57 bis 63 Prozent der zweijährigen Kinder des Geburtsjahrs 2014 komplett zweimal gegen Masern geimpft. Und auch in einigen Landkreisen von Baden-Württemberg, etwa in Ravensburg und Freiburg, liegen die Impfraten deutlich unter dem Bundesdurchschnitt.

Ob gegen diese seit Jahren bekannten Defizite Maßnahmen geplant sind, ist nicht bekannt. Man kann sich inzwischen aber wenigstens prima darüber informieren. Das RKI bietet dazu im Internet die interaktive Online-Karte VacMap der KV-Impfsurveillance an (www.vacmap.de).

Einstellung zum Impfen wirklich besser?

Bemerkenswert in diesem Jahr ist auch der Beitrag der BZgA in der gemeinsamen Meldung. "Trotz bestehender Impflücken in der Bevölkerung hat sich die Einstellung zum Impfen erkennbar gebessert. Lediglich fünf Prozent der befragten 16- bis 85-Jährigen haben eine (eher) ablehnende Haltung, wie die Ergebnisse der bundesweiten Repräsentativbefragung der Bundeszentrale zeigen.

Wir sind grundsätzlich auf einem guten Weg, allerdings ist eine konsequente und zielgerichtete Impfaufklärung weiterhin notwendig", wird Dr. Heidrun Thaiss in der Meldung zitiert. Ob die BZgA-Leiterin mit ihrer aktuell "konsequenten und zielgerichteten Impfaufklärung" die umstrittene Kampagne "Deutschland sucht den Impfpass" meint, ist nicht bekannt. "Ich kenne keinen, der daraufhin sofort nachschauen gegangen ist", meinte zumindest der Arzt und Kabarettist Dr. Eckhard von Hirschhausen kürzlich bei einer Podiumsdiskussion dazu.

Und auch die angeblich positive Entwicklung bei der Einstellung zum Impfen in der Bevölkerung ist durchaus anzuzweifeln. Ganz andere Ergebnisse finden sich in einer repräsentativen Umfrage des Marktforscher Nielsen unter 1000 Bundesbürgern von Ende 2017, den der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) in Auftrag gegeben hatte.

45 Prozent der Befragten bejahten darin die Aussage, "Ich finde es wichtig, dass ein Kind eine Krankheit auch mal durchmacht, weil es danach besser geschützt ist als mit einer Impfung". 34 Prozent glaubten, dass Impfungen "vermeidbare Risiken" für Kinder darstellen und 39 Prozent stimmten der Aussage zu: "Die Nebenwirkungen und Risiken von Impfungen sind nicht kalkulierbar".

Solche falschen Vorstellungen nehmen in der Bevölkerung eher zu. Und auch wenn man sich die Leser-Kommentare auf der "Tagesschau"-App zu einer Meldung über die Impfwoche anschaut, gewinnt man den Eindruck, dass die Impfgegner in Deutschland präsenter sind als die Impfbefürworter.

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