Hintergrund

Gene, Infekte und Ernährung fördern Diabetes bei Kindern - die Prävention wird erforscht

Wie kommt es dazu, dass ein Kind Typ-1-Diabetes bekommt, und warum steigt die Inzidenz in Industrieländern immer mehr? Forscher liefern zunehmend Mosaiksteine zu einer Antwort. Ihr Ziel: Kinder vor Typ-1-Diabetes zuverlässig zu schützen.

Von Dieter Rödder Veröffentlicht:
Ist Insulin in Kuhmilch eine Ursache für Diabetes bei Kindern? Es spricht einiges dafür.

Ist Insulin in Kuhmilch eine Ursache für Diabetes bei Kindern? Es spricht einiges dafür.

© pinoquio_9 / Fotolia.com

Die Inzidenz des Typ-1-Diabetes ist in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen. Professor Mikael Knip von der Universität von Helsinki in Finnland hat es beim Diabetologenkongress in Stockholm mit Daten aus seinem Land belegt. Dort ist die Inzidenz von 12 pro 100 000 Einwohnern im Jahr 1953 auf 62 pro 100 000 im Jahr 2008 gestiegen. Und: Das Alter bei der Diagnose ist dabei gesunken. Am stärksten zugenommen haben die Diagnoseraten bei unter Fünfjährigen.

Etwa 40 Gene sind inzwischen entdeckt worden, die zur Prädisposition für diese Erkrankung beitragen. HLA Gene am kurzen Arm des Chromosoms 6 tragen allein zur Hälfte der genetischen Disposition bei.

Nur jedes zehnte genetisch belastete Kind erkrankt auch

Doch nur bei einem Zehntel der genetisch vorbelasteten Kinder bricht die Krankheit aus. Es müssen also weitere Faktoren hinzukommen. Eine Fülle von Beobachtungen und Studien hat zu einer Hypothese geführt, dass dies Trigger und Booster sind. Der Trigger ist ein Umweltfaktor. Hier sprächen viele Beobachtungen für ein infektiöses Agens, berichtete Knip. Der Booster-Faktor könnte ein Antigen aus der Nahrung sein. Dazu kommen vermutlich noch Umweltfaktoren, die den Krankheitsprozess modifizieren.

Autoantikörper sind erste Vorzeichen der Krankheit

Was könnte der Trigger der Erkrankung sein? Betrachten die Wissenschaftler alle Befunde dazu aus epidemiologischen und anderen Studien zusammen, kommen am ehesten Enteroviren infrage, die weit verbreitet sind und viele Kinder schon bald nach der Geburt bis im Alter von sechs Monaten infizieren.

Was könnte das potenzielle Booster-Antigen sein. Hier folgen die Wissenschaftler mehreren Spuren. Einiges spricht dafür, dass es Kuhinsulin sein könnte, das in den meisten Produkten aus Kuhmilch nachzuweisen ist. In einer Studie waren die Spiegel der Antikörper auf Kuhinsulin bei Kindern mit Beta-Zell-Autoimmunität über die Jahre kontinuierlich gestiegen, während dies bei Kindern ohne Diabetes nicht der Fall war.

Aber auch die frühe Gabe von Wurzelgemüse an Kinder scheint ein Risikofaktor für das Auftreten diabetesassoziierter Autoantikörper zu sein, den ersten erkennbaren Zeichen, dass der Prozess der Entwicklung von Diabetes begonnen hat.

Der zeitliche Verlauf der Erkrankung spricht jedenfalls dafür, dass die Umweltfaktoren in früher Kindheit wirken.

Westlicher Lebensstil scheint Ausbruch zu begünstigen

Von der Entdeckung der ersten Antikörper bis zum Ausbruch der Krankheit vergehen im Schnitt zwei bis drei Jahre. Und die ersten Antikörper sind oft schon bei sehr jungen Kindern nachzuweisen. Mehrere Beobachtungen sprechen dafür, dass körperliche Veränderungen durch einen verwestlichten Lebensstil das Risiko für Typ-1-Diabetes erhöhen. Dazu gehören etwa ein beschleunigtes Wachstum und Vitamin-A-Mangel.

Erst kürzlich haben Wissenschaftler die Beobachtung gemacht, dass die Vielfalt der Mikroflora der Darmbakterien bei jungen Kindern verändert ist, die Autoantikörper haben. Da die Darmbakterien die Zusammensetzung der Aminosäuren und Fette im Blut beeinflussen, könnte es sein, dass Veränderungen in der Zusammensetzung durch einen veränderten Lebensstil zur erhöhten Rate von Typ-1-Diabetes beitragen, so der finnische Wissenschaftler. Und er kann auch einen gesellschaftlichhistorischen Befund präsentieren. In einer Studie ging die Zunahme der Inzidenz des Typ-1-Diabetes mit der Zeit parallel mit der Entwicklung des Bruttosozialproduktes.

Welche Präventionsmöglichkeiten ergäben sich, wenn weitere Forschungen die Hypothesen bestätigen? Vakzine gegen die triggernden Viren und Vermeiden der boosternden Faktoren, so die Antwort des Wissenschaftlers.

Vorkommen: Etwa 22 000 Kinder und Jugendliche in Deutschland haben Diabetes, über 99 Prozent davon Typ-1-Diabetes. Auch in Deutschland steigt die Inzidenz, und zwar um rund 3,5 Prozent pro Jahr, derzeit sind es 17 Neuerkrankungen pro 100 000 Einwohner jährlich.

Risikofaktoren: Die Ursachenforschung ist noch lückenhaft. Es gibt Hinweise, dass Stillen über fünf Monate das Risiko reduziert und das Zufüttern von Kuhmilch das Risiko erhöht.

Forschung: In der BABYDIAB-Studie werden Säuglinge von Eltern mit Typ-1-Diabetes betreut. Kinder, die schon in den ersten vier Lebensmonaten Beikost erhielten, hatten ein vierfaches Risiko für die Entwicklung von Autoantikörpern gegen PankreasInselzellen und Typ-1-Diabetes. Die Beikost enthielt oft Getreide, also Gluten. In der Studie werden 150 Säuglinge mit hohem Diabetesrisiko (Risikogene plus ein erstgradiger Angehöriger mit Typ-1-Diabetes) sechs oder zwölf Monate lang glutenfrei ernährt. (eis)

Ihr Newsletter zum Thema
Lesen sie auch
Mehr zum Thema

Public Health Index 2025

Deutschland weist große Lücken im Gesundheitsschutz auf

Kooperation | In Kooperation mit: AOK Bundesverband
Das könnte Sie auch interessieren
Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

© Aleksandr | colourbox.de

Fatal verkannt

Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

© polkadot - stock.adobe.com

Vitamin-B12-Mangel

Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
B12-Mangel durch PPI & Metformin

© Pixel-Shot - stock.adobe.com

Achtung Vitamin-Falle

B12-Mangel durch PPI & Metformin

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: FIB-4 1,3: numerische 26%ige Risikoreduktion der 3-Punkt-MACE durch Semaglutid 2,4mg

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [17]

Kardiovaskuläre, renale und hepatische Komorbiditäten

Therapie der Adipositas – mehr als Gewichtsabnahme

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novo Nordisk Pharma GmbH, Mainz
SCD-PROTECT-Studie-- Frühe Phase nach Diagnose einer Herzinsuffizienz – deutlich höheres Risiko für den plötzlichen Herztod als in der chronischen Phase.

© Zoll CMS

SCD-Schutz in früher HF-Phase

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: ZOLL CMS GmbH, Köln
Abb. 2: Schneller Wirkeintritt von Naldemedin im Vergleich zu Placebo in den Studien COMPOSE-1 und COMPOSE-2

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [15]

Opioidinduzierte Obstipation

Selektive Hemmung von Darm-Opioidrezeptoren mit PAMORA

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Viatris-Gruppe Deutschland (Mylan Germany GmbH), Bad Homburg v. d. Höhe
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Ein älterer Herr, der einen medizinischen Fragebogen ausfüllt.

© buritora / stock.adobe.com

Metaanalyse

Subjektive Krankheitsbelastung bei Krebs prognostisch relevant

Eine junge Frau fasst sich an ihren schmerzenden Ellenbogen.

© Rabizo Anatolii / stock.adobe.com

Laterale Ellbogenschmerzen

Diese sechs Kriterien sprechen gegen einen „Tennisarm“

Eine Ärztin hält einen Reagenzstreifen zur Analyse einer Urinprobe in der Hand.

© H_Ko / stock.adobe.com

Risikofaktoren identifiziert

Für wen könnten Harnwegsinfekte gefährlich werden?