"Geplantes Gewebegesetz isoliert Deutschland in Europa"

BERLIN (gvg). Das Bundeskabinett hat Mitte August das Gewebegesetz beschlossen (wir berichteten). Vor den Folgen des geplanten Gesetzes warnen der Berliner Herzchirurg Professor Roland Hetzer und der ehemalige Vorsitzende von Eurotransplant, Dr. Guigo Persijn. Deutschland werde sich damit in der europäischen Transplantationsgemeinschaft isolieren.

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Persijn leitet heute die gemeinnützige Organisation Bio Implant Service (BIS), eine Tochter der zentralen Transplantatbehörde Eurotransplant in den Niederlanden. BIS ist für die europaweite Verteilung von menschlichen Geweben wie Herzklappen oder Hornhäuten zuständig. In Berlin meldet beispielsweise das am Deutschen Herzzentrum (DHZB) angesiedelte Homograftlabor die Entnahme und Konservierung von Herzklappen an die BIS.

Ähnlich wie bei den Komplett-Transplantaten profitiere Deutschland von diesem System auch bei Geweben überdurchschnittlich, sagte Persijn in Berlin. So seien im Jahr 2005 insgesamt 167 Herzklappen aus dem europäischen Ausland nach Deutschland geliefert worden. Nur zehn wurden aus Deutschland in andere Länder geschickt, unter anderem aus Berlin und Bad Oeynhausen.

    Deutschland profitiert von dem bisherigen Verteilungssystem für Transplantate von Europlant.
   

Vor diesem Hintergrund äußerten Persijn und Hetzer Unverständnis für den Plan der Bundesregierung, komplette Gewebe wie Herzklappen künftig gemäß den Regelungen des Arzneimittelrechts zu behandeln. Dies hätte zum Beispiel für das DHZB zur Folge, daß überhaupt keine menschlichen Herzklappen mehr an europäische Partner geliefert werden können, so Hetzer. Der Grund: Sobald die Gewebe das DHZB verlassen, müßten sie arzneimittelrechtlich zugelassen werden.

Die Bundesregierung behauptet, mit dem Gewebegesetz nur die entsprechende EU-Richtlinie umzusetzen. Tatsächlich, so beklagen Experten, geht sie weit über die Anforderungen der Richtlinie hinaus: "Es handelt sich um einen deutschen Sonderweg, der von der Richtlinie in keiner Weise vorgegeben wird", sagt der Berliner Rechtsanwalt Dr. Klaus Goecke.

Er fordert stattdessen, komplette Gewebetransplantate wie Hornhäute oder Herzklappen rechtlich wie Organtransplantate zu behandeln, wie es auch in anderen europäischen Ländern gehandhabt werde. Damit würden für reine Gewebetransplantate die bisher praktizierten, europaweiten Verteilungsstrukturen nicht untergraben, von denen vor allem Deutschland stark profitiert.

Medizinisch hält Hetzer die Einstufung eines unveränderten menschlichen Gewebetransplantats als Arzneimittel ohnehin für absurd: "Wenn wir einem Spender ein komplettes Herz entnehmen, um es zu transplantieren, dann brauchen wir keine Herstellererlaubnis. Wenn wir ein Herz entnehmen, um eine Herzklappe zu transplantieren, dann bräuchten wir künftig eine Erlaubnis", so Hetzer.

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