10 Jahre Infektionsschutz

HIV-Therapie: Konsequente Behandlung schützt vor Übertragung des Virus

Vor zehn Jahren löste eine Stellungnahme heftige Diskussionen aus: HIV-Infizierte unter antiretroviraler Therapie sind sexuell nicht infektiös. Mehrere Studien haben dies bestätigt, aber das Wissen ist in der Bevölkerung offenbar noch nicht angekommen.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
HIV-Therapie: Konsequente Behandlung schützt vor Übertragung des Virus

© Sebastian Schreiter / Springer M

HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös". So lautete der Titel eines Statements der EKAF (Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen) Ende Januar 2008 in der "Schweizerischen Ärztezeitung" (2008; 89: 165–169), das es in sich hatte. Die Stellungnahme löste heftige Diskussionen aus. Denn Kritiker sahen die bisherigen Erfolge der Präventionsbemühungen durch die Aussage geschmälert. Das Statement, dass ein HIV-Infizierter unter einer wirksamen antiretroviralen Therapie nicht infektiös sei, galt jedoch nur eingeschränkt, und zwar unter drei wichtigen Voraussetzungen. Zum einen musste die antiretrovirale Therapie vom HIV-infizierten Sexualpartner strikt eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert werden. Zum anderen musste die Virusmenge im Blut seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze liegen und somit eine Suppression der Virämie vorliegen. Schließlich galt die Voraussetzung, dass keine sexuell übertragbaren Erreger, also keine anderen sexuell übertragbaren Krankheiten (STD), nachweisbar sind.

Das Statement basierte auf epidemiologischen sowie biologischen Daten nach Untersuchungen von Blut und Genitalsekreten. Der Infektiologe und EKAF-Präsident Professor Pietro Vernazza vom Kantonsspital St. Gallen und seine Kollegen berichteten damals unter anderem von den Ergebnissen einer Längsschnittstudie mit fast 400 heterosexuellen serodifferenten Paaren, bei denen es im Zeitraum von 14 Jahren bei Sexualpartnern von HIVInfizierten mit konsequenter antiretroviraler Therapie zu keiner einzigen Infektion mit dem Aids-Erreger gekommen war, in der Vergleichsgruppe mit HIV-Infizierten ohne antiretrovirale Therapie dagegen bei 8,6 Prozent. Mehrere Studien hätten zudem ergeben, dass die Menge der HIV-RNA-Kopien in Genitalsekreten während der antiretroviralen Therapie auf nicht messbare Werte sinkt.

Übertragungsrisiko um 96 Prozent reduziert

Inzwischen gibt es weitere Studiendaten, die diese Beobachtungen stützen. Da ist zum einen die Studie HPTN 052 (HIV Prevention Trials Network 052), deren Fünf-Jahres-Daten vor einem Jahr publiziert wurden (NEJM 2016; 375: 830–839). An der Studie hatten fast 1800 diskordante Paare in neun Ländern teilgenommen, mit 97 Prozent die meisten heterosexuell, von denen die eine, noch gesunde Gruppe eine frühzeitige antiretrovirale Therapie erhielt, die andere erst dann, wenn die Studienteilnehmer etwa bereits Symptome der Immunschwäche hatten. Die Studie, in der Kondome empfohlen wurden, war gestoppt worden, nachdem eine Reduktion des Übertragungsrisikos um 96 Prozent bei frühem Therapiebeginn beobachtet worden war. Nach einem Follow-up von median 5,5 Jahren hatten sich insgesamt 78 Studienteilnehmer mit HIV infiziert, 72 von ihnen durch ihren infizierten Partner. Teilnehmer der Gruppe mit frühzeitiger antiretroviraler Therapie hatten der Auswertung zufolge ein um 93 Prozent niedrigeres Risiko, sich mit dem HI-Virus des Partners anzustecken, als Teilnehmer mit spätem Therapiebeginn. Damit bestätigte diese Studie die Ergebnisse früherer Beobachtungsstudien.

Einen Schritt weiter ging die prospektive Beobachtungsstudie PARTNER (Partners of People on ART—A New Evaluation of the Risks) zwischen 2010 und 2014, an der auch Vernazza als Autor beteiligt war. Insgesamt 888 Paare in 14 europäischen Ländern hatten teilgenommen, 340 Partnerschaften davon zwischen Männern, die Sex mit Männern haben, alle HIV-positiven Partner hatten eine ART mit Virussuppression (JAMA 2016; 316: 171–181). Zu Beginn hatten die Studienteilnehmer angegeben, dass sie seit median zwei Jahren Sex ohne Schutz durch Kondome hatten. Nach einem medianen Follow-up von 1,3 Jahren hatten sich elf vorher virusfreie Partner mit dem Aids-Erreger angesteckt, nur einer von ihnen in der Gruppe der Heterosexuellen. Allerdings: Keine einzige Virusübertragung erfolgte zwischen Studienteilnehmern.

Aktuelle Studie mit 350 Paaren

Die jüngste Bestätigung des Konzepts "Therapie als Prävention" lieferten schließlich die Ergebnisse der Kohortenstudie "Opposites Attract" mit mehr als 350 HIV-serodiskordanten homosexuellen männlichen Paaren in Australien, Bangkok und Rio de Janeiro. Die ersten Ergebnisse wurden vor einem halben Jahr während der Jahrestagung der Internationalen Aids-Gesellschaft (IAS) in Paris vorgestellt (Abstr. TUAC0506LB). Bei einem Follow-up von mehr als 590 Paarjahren und fast 17.000-fachem Analverkehr ist es der Studie zufolge kein einziges Mal zu einer Virusübertragung von infizierten, antiretroviral behandelten Studienteilnehmern auf deren jeweilige Partner gekommen. Die Virusmenge lag unter 200 RNA-Kopien/ml.

Dass die Ansteckungsgefahr so gering ist, ist einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im November 2017 aus Anlass des Welt-Aids-Tages zufolge allerdings in Deutschland kaum bekannt. Demnach stimmten der Aussage, dass es "mit den gegenwärtigen Behandlungsmöglichkeiten möglich ist, andere beim Sex ohne Kondom nicht mehr mit HIV anzustecken", nur zehn Prozent zu. 71 Prozent der Befragten glaubten dagegen nicht, dass dies mit den aktuellen Therapieoptionen möglich ist.

Mehr zum Thema

Zweiter Berliner Patient

HIV-Remission mit nicht-resistenten Stammzellen erreicht

Das könnte Sie auch interessieren
Alarmierender Anstieg: Hautpilz aus dem Barbershop

© David Pereiras | iStock (Symboldbild mit Fotomodell)

Dermatomykosen

Alarmierender Anstieg: Hautpilz aus dem Barbershop

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Effektive Therapie von Nagelpilz: Canesten® EXTRA Nagelset

© Irina Tiumentseva | iStock

Onychomykosen

Effektive Therapie von Nagelpilz: Canesten® EXTRA Nagelset

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Therapie

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Medizinischer Infusions-Tropf mit buntem Hintergrund

© Trsakaoe / stock.adobe.com

Hochdosis-Therapie

Vitamin C bei Infektionen und Long-COVID

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Maximale Vitamin-C-Blutspiegel nach oraler (blau) und parenteraler (orange) Tagesdosis-Gabe.

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Infusion

Parenterale Gabe erzielt hohe Plasmakonzentrationen an Vitamin C

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: Risikoreduktion durch Bempedoinsäure gegenüber Placebo in der CLEAR-Outcomes-Studie für den primären 4-Komponenten-Endpunkt (A) und den sekundären 3-Komponenten-Endpunkt (B) stratifiziert nach Diabetes-Status

© Springer Medizin Verlag

Diabetes mellitus

Bempedoinsäure: Benefit für Hochrisiko-Kollektive

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Daiichi Sankyo Deutschland GmbH, München

Ist das AMNOG bereit für HIV-Innovationen?

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Gilead Sciences GmbH, Martinsried
Abb. 1: Studie DECLARE-TIMI 58: primärer Endpunkt „kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz“ in der Gesamtkohorte

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [4]

Diabetes mellitus Typ 2

Diabetes mellitus Typ 2 Präventiv statt reaktiv: Bei Typ-2-Diabetes mit Risikokonstellation Folgeerkrankungen verhindern

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

„ÄrzteTag“-Podcast

Wie erkenne ich Schmerzen bei Menschen mit Demenz, Professorin Miriam Kunz?

Systematisches Review und Metaanalyse

Antidepressiva absetzen: Welche Strategie ist am wirksamsten?

Lesetipps
Übersichtsarbeit: Wie wirken Hochdosis-, rekombinante und mRNA-Vakzinen verglichen mit dem Standardimpfstoff?

© Sasa Visual / stock.adobe.com

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Serotoninkristalle, die ein Muster ergeben.

© Michael W. Davidson / Science Photo Library

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an