HINTERGRUND

Hoffnung bei Hörsturz mit Apherese und Apoptose-Hemmern

Von Thomas Müller Veröffentlicht:

Patienten mit Hörsturz sollten eigentlich rasch behandelt werden, damit es möglichst zu keinen oder nur geringen bleibenden Hörschäden kommt. Allerdings gibt es zur optimalen Therapie unterschiedliche Auffassungen. Das mag daran liegen, dass bei den meisten Patienten die Ursachen des plötzlichen Hörverlusts unbekannt sind. Forscher und Ärzte suchen daher nach neuen Markern, die Hinweise über die Ursachen geben, sowie nach besseren, zielgerichteten Therapien.

Ein neuer Ansatz ist etwa die Fibrinogen-Apherese. Damit lässt sich offenbar die Prognose bei Patienten mit Hörsturz verbessern - zumindest bei solchen mit hoher Plasma-Viskosität. Auch ein neuer intratympanal verabreichter Apoptose-Blocker beugt nach ersten Studien Langzeitschäden vor - und zwar unabhängig von den Ursachen des Hörsturzes.

Toxine und Lärm sind selten die Ursache für akuten Hörverlust

Nur bei wenigen Patienten lässt sich ein Hörsturz auf Ursachen wie toxische Substanzen oder ein Knalltrauma zurückführen. Diese Faktoren können bekanntermaßen das Innenohr schädigen und einen plötzlichen Hörverlust auslösen. Bei den meisten Patienten mit Hörsturz lassen sich solche Ursachen jedoch ausschließen. Bei ihnen werden vaskuläre Ursachen, Virusinfektionen oder Autoimmunreaktionen vermutet.

Daran hat Privatdozent Markus Suckfüll von der HNO-Klinik der LMU München erinnert. An diesen Hypothesen orientiert sich die bisherige Akut-Therapie: Die Patienten erhalten meist Plasma-Expander und Kortikoide. Bislang ist der Nutzen dieser Therapien aber nicht klar belegt, so Suckfüll auf einem Symposium des Unternehmens Merz in Frankfurt am Main. Neue Therapiestrategien seien daher dringend nötig.

Plasmaviskosität ist bei Hörsturz oft erhöht

Einen neuen Ansatz bietet die Beobachtung, dass bei vielen Hörsturz-Patienten die Plasmaviskosität erhöht ist. Bei diesen Patienten lassen sich meist erhöhte Fibrinogen-Spiegel nachweisen. Hohe Fibrinogen-Werte verdicken das Blut und werden bekanntlich auch als Risikofaktor für Herzinfarkt und Schlaganfall diskutiert. Dass erhöhte Fibrinogen-Werte auch bei Hörsturz auftreten, spreche daher für eine vaskuläre Ursache, so Suckfüll.

Peptid verhindert Tod der Haarzellen in der Cochlea.

Eine Möglichkeit, Fibrinogen-Werte schnell zu senken, ist die Apherese. In einer Studie mit 200 Patienten verglich seine Arbeitsgruppe eine Fibrinogen-Apherese mit der Standardtherapie aus Plasma-Expandern und Kortikoiden. Insgesamt zeigte sich dabei ein Vorteil der Apherese. Dieser war jedoch bei den Tonschwellen-Analysen im Audiogramm nicht signifikant. Wurde nur die Gruppe der Patienten mit hohen Fibrinogen-Werten berücksichtigt, ergab sich jedoch ein signifikanter Vorteil der Apherese.

Bei der Spracherkennung waren die Apherese-Patienten sogar insgesamt signifikant besser als Patienten mit Standardtherapie, sagte Suckfüll. Er schloss daraus, dass zumindest ein Teil der Hörsturz-Patienten - diejenigen mit hohen Fibrinogen-Werten - ein vaskuläres Problem haben und von der Apherese profitieren.

Der HNO-Arzt wies auch auf mögliche virale Ursachen hin. So deuten hohe Werte von Hitze-Schock-Proteinen, wie sie bei einem Teil der Hörsturz-Patienten beobachtet werden, auf eine virale Infektion. Diese Patienten könnten also durchaus von einer Kortikoidtherapie profitieren.

Wird demnächst also vor der Therapie ein Bluttest auf Fibrinogen und virale Marker gemacht, um die richtige Therapie zu wählen? Suckfüll glaubt das eher nicht. Er vermutet, dass es bald bessere Optionen gibt, und zwar solche, die unabhängig von der Ursache wirken. So wurde in Tierversuchen erfolgreich ein Peptid getestet, das den kontrollierten Zelltod der Haarzellen in der Cochlea verhindert.

Dazu liegen nun auch Phase-I-Daten von elf Patienten vor. Die Patienten hatten alle an Silvester ein Knalltrauma erlitten und einen Hörverlust von 20 bis 36 dB. Das Peptid mit der Bezeichnung AM-111 wurde transtympanal in das jeweils am stärksten betroffene Ohr injiziert. Nach 30 Tagen hatte sich das Hörvermögen in den behandelten Ohren im Schnitt um 25 dB verbessert, in den unbehandelten dagegen nur um 18 dB. Auffällig war auch, so Suckfüll, dass das Hörvermögen in den behandelten Ohren deutlich schneller zunahm.

STICHWORT

Hörsturz

Etwa 300 von 100 000 Menschen bekommen jedes Jahr einen Hörsturz, bei etwa 5 von 100 000 führt das Ereignis zu einem starken Hörverlust, berichtet Privatdozent Markus Suckfüll aus München. Bei etwa 60 bis 70 Prozent der Patienten mit Hörsturz erholt sich das Hörvermögen wieder, allerdings bei den meisten mit leichten, bleibenden Einschränkungen. Nur etwa 25 Prozent der Patienten erreichen eine komplette Remission. Bei 85 Prozent der Patienten geht der Hörsturz mit einem Tinnitus einher. Ein Viertel davon hat anschließend einen dauerhaften Tinnitus. Hörsturz ist damit die häufigste Ursache für das Klingeln im Ohr. (mut)

Mehr zum Thema

Unlauterer Wettbewerb

Demenz-Vorsorge mit Hörgerät? Wettbewerbszentrale mahnt ab

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Weniger Rezidive

Hustenstiller lindert Agitation bei Alzheimer

Lesetipps
Ulrike Elsner

© Rolf Schulten

Interview

vdek-Chefin Elsner: „Es werden munter weiter Lasten auf die GKV verlagert!“

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen forderte am Mittwoch beim Gesundheitskongress des Westens unter anderem, die dringend notwendige Entbudgetierung der niedergelassenen Haus- und Fachärzte müsse von einer „intelligenten“ Gebührenordnung flankiert werden.

© WISO/Schmidt-Dominé

Gesundheitskongress des Westens

KBV-Chef Gassen fordert: Vergütungsreform muss die Patienten einbeziehen