Symptomlose Aortenstenose

Intervenieren oder abwarten?

Bei asymptomatischer Aortenklappenstenose einfach abzuwarten, ist möglicherweise nicht immer empfehlenswert. Nach aktuellen Daten könnte ein früher Klappenersatz vorteilhaft sein. Unklar ist, welche Patienten am ehesten von dem frühen Eingriff profitieren.

Von Veronika Schlimpert Veröffentlicht:
Herz im Modell mit Reizleitungssystem.

Herz im Modell mit Reizleitungssystem.

© lom123 / fotolia.com

Jeder zweite Patient mit Aortenklappenstenose hat keine Beschwerden. Solange Betroffene asymptomatisch bleiben, ist deren Prognose recht gut. Sobald aber Symptome wie Angina oder Herzinsuffizienz auftreten, steigt die Mortalität auf 25 bis 50 Prozent pro Jahr, wie Professor Holger Thiele vom Universitären Herzzentrum Lübeck bei der Veranstaltung pci.live in München erläutert hat. Bisher war die Empfehlung, bei asymptomatischer Aortenklappenstenose zunächst abzuwarten, die Patienten zu überwachen und nur bei Beschwerden einen chirurgischen Klappenersatz oder eine Transkatheter-Klappenimplantation (TAVI) vorzunehmen. "Doch diese Empfehlung ist womöglich zu einfach", betonte Thiele.

So bekamen in einer österreichischen Studie von 2016 43 Prozent der zunächst 109 asymptomatischen Patienten binnen sechs Monaten eine akute Klappendekompensation und mussten stationär behandelt werden. Diese Patienten mit NYHA-Klasse III–IV hatten nach dem erforderlichen Klappenersatz eine deutlich höher Sterberate als Betroffene im NYHAStadium I oder II.

In einer anderen Studie wurden Patienten mit asymptomatischer hochgradiger Aortenstenose untersucht (transvalvuläre Flussgeschwindigkeit Vmax >4 m/s). Binnen fünf Jahren waren fast 80 Prozent von ihnen symptomatisch und brauchten letztlich einen Aortenklappenersatz. "Es ist im klinischen Alltag allerdings gar nicht so einfach, den Zeitpunkt des Symptombeginns zu definieren", betonte Thiele: "Jeder kennt die 90-jährige Patientin, die angibt eigentlich gar keine Beschwerden zu haben und dann doch die Treppen nicht mehr hochlaufen kann." Auch können häufig Komorbiditäten wie COPD, Luftnot, Hypertonie oder Anämien Ursache der Beschwerden sein.

Früher Klappenersatz?

Der optimale Zeitpunkt für den Aortenklappenersatz bei asymptomatischen Patienten in unklar. Ersetzt man die Klappe zu früh, kann der Patient aufgrund einer Klappen-Degeneration einen erneuten Eingriff mit entsprechenden Komplikationen benötigen. "Wartet man dagegen zu lange, kann es passieren, dass der Patient vorher stirbt", so Thiele. So sterben von den Patienten mit asymptomatischer Aortenklappenstenose immerhin 1 bis 1,5 Prozent pro Jahr an plötzlichem Herztod; bei symptomatischer Aortenstenose steigt dieses Risiko auf 3 bis 7 Prozent. Die europäischen Leitlinien empfehlen einen vorzeitigen Klappenersatz bei Patienten mit eingeschränkter Pumpfunktion (LVEF <50 Prozent ) und positivem Belastungstest (Klasse-1-Empfehlung). Bei Patienten mit Vmax >5,5, einem Blutdruckabfall unter Belastung, schwerer Kalzifizierung zusammen mit einem Anstieg der maximalen transvalvulären Flussgeschwindigkeit um mindestens 0,3m/s pro Jahr wird der Klappenersatz ebenfalls für sinnvoll erachtet (Klasse IIa).

Eine Klasse-IIb-Empfehlung wird für Patienten mit einem deutlichen BNP-Anstieg, einer Zunahme des Druckgradienten unter Belastung von mehr als 22 mmHg und einer starken linksventrikuläre Hypertrophie ohne Hypertonus ausgesprochen.

Randomisierte Studien fehlen

Allerdings basieren diese Empfehlungen nur auf einem auf Expertenmeinungen (Evidenzgrad C), gab Thiele zu bedenken. Daten aus randomisierten Studien zum Management der asymptomatischen Aortenstenose gebe es bisher nicht. Zwar habe sich in einer Metaanalyse von 2016 mit vier Registerstudien ein Überlebensvorteil für den frühen Aortenklappenersatz im Vergleich zur Strategie des "Watchful Waiting" gezeigt, berichtete der Kardiologe. Doch solche Daten hätten einen Selektionsbias. Eine randomisierte Studie mit 300 asymptomatischen Patienten wurde mittlerweile auf dem Weg gebracht. In ihr soll die Effektivität des chirurgischen Klappenersatzes mit der einer abwartenden Strategie verglichen werden, und zwar hinsichtlich der Prävention von Myokardinfarkten, Schlaganfällen und Herzinsuffizienz bedingten Rehospitalisationen.

Ein weiteres Dilemma beim Management asymptomatischer Aortenklappenstenosen ist, dass sich die Charakteristika der Betroffenen oft stark unterscheiden. Deutlich wird dies an der großen Spannbreite der Überlebensraten: Diese schwankt laut Registerdaten in einem Jahr von 63 bis 98 Prozent und nach fünf Jahren von 35 bis 85 Prozent.

New Yorker Wissenschaftler um Philippe Généreux suchen daher Prädiktoren, mit denen sich Hochrisikopatienten identifizieren lassen, die von einem frühen Klappenersatz profitieren könnten. Als echokardiografische Kriterien haben sie eine linksventrikuläre Ejektionsfraktion <50 Prozent und eine Klappenöffnungsfläche <0,75 cm2 ausgemacht, ebenso wie abnormale Befunde im Stresstest oder ein Anstieg des mittleren Druckgradienten >18 oder 20 mmHg bei einem Belastungs-Stresstest. Der BNP-Wert (Cut-Off: >97 pg/ml)hat sich in einem prospektiven Register mit 70 Patienten als besserer Prädiktor für die Sterblichkeit herausgestellt als die Aortenklappenöffnungsfläche.

Der Nutzen von TAVI bei asymptomatischen Aortenstenose wird in der EARLY-TAVR-Studie in den USA untersucht. In Deutschland ist hierzu die EVE-TAVI-Studie mit 2000 Patienten geplant. Untersucht werden sollen die Mortalität und die Häufigkeit von Rehospitalisationen wegen Herzinsuffizienz nach früher und nach verzögerter TAVI. Die Patienten werden nach dem Zufallsprinzip initial entweder mit transfemoraler TAVI oder medikamentös behandelt. Primärer Endpunkt ist die Mortalität nach zwei Jahren, die Häufigkeit von Schlaganfällen und kardial bedingten Hospitalisierungen.

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