Verstauchter Knöchel

Kein Gips für Kinder!

Soll man Kinder mit verletztem Knöchel und Verdacht auf eine Beteiligung der fibulären Epiphysenfuge mit einem Gipsverband immobilisieren? Die Ergebnisse einer kanadischen Studie sprechen dagegen.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:

TORONTO. Bei lateralen Knöchelverletzungen im Kindesalter besteht grundsätzlich die Sorge, dass die Wachstumsfuge der Fibula beteiligt sein könnte.

Die Standard-Röntgenaufnahme des Knöchels in drei Ebenen kann eine nicht dislozierte Fraktur der distalen Fibula vom Typ Salter-Harris I (SH1DF) nicht ausschließen.

Um Wachstumsstörungen vorzubeugen, wird daher oft schon beim Verdacht auf eine solche Verletzung trotz negativen Röntgenbefunds das drei- bis sechswöchige Tragen eines Gipses oder einer Schiene propagiert.

Dagegen wenden sich nun kanadische Autoren. In ihrer MRT-Studie konnte das Team um Kathy Boutis von der Universität Toronto zeigen, dass sich der Verdacht einer SH1DF nur in 3 Prozent der Fälle bestätigt (JAMA Pediatr 2016; 170(1): e154114).

Für die Kommentatoren um Peter J. Gill, Toronto, ist die Schlüsselbotschaft, dass "auf 33 Kinder, die mittels Gips immobilisiert werden, nur eine echte SH1DF kommt". Im Hinblick auf das funktionelle Ergebnis, so die Experten, hätte eine solche Maßnahme offenbar keinen Vorteil.

Dogma aus dem Jahr 1963

An der prospektiven Kohortenstudie waren 135 Kinder im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren beteiligt. Bei allen war der laterale Knöchel über der distalen Wachstumsfuge der Fibula nach einer akuten Verletzung geschwollen oder schmerzhaft.

Der Röntgenbefund war in allen Fällen negativ ausgefallen. Um die klinisch gestellte Verdachtsdiagnose SH1DF auszuschließen, wurden die Kinder innerhalb von einer Woche nach dem Unfall einer MRT-Untersuchung unterzogen.

Behandelt wurden sämtliche Patienten mit einer abnehmbaren Schiene; Bewegung war erlaubt, sofern sie von den Kindern toleriert wurde.

Nur in vier Fällen bestätigte die MRT den Verdacht einer SH1DF; bei zweien davon zog sich die Verletzung (abnormes Signal in der T2-gewichteten Aufnahme) durch die gesamte Wachstumsfuge, die restlichen zwei hatten eine Verletzung, die sich nur über maximal die Hälfte der Epiphysenfuge erstreckte.

38 Kinder wiesen im MRT-Bild eine Ausrissfraktur der Fibula auf. Eine Verletzung der Bänder fand sich nach Angaben des Teams um Boutis bei 80 Prozent der zwischen fünf und zwölf Jahre alten Patienten. Dabei handelte es sich in 67,6 Prozent der Fälle um mittel- bis hochgradige Verletzungen.

Nach Gill und Kollegen widerspricht dies der auf Salter und Harris zurückgehenden Theorie, dass "Kinder sich nichts verstauchen können", weil der Knorpel der Epiphysenfuge bei ihnen "schwächer" sei als die umliegenden Bänder.

Auf diesem aus dem Jahr 1963 stammenden Dogma beruht laut Autoren die oft praktizierte routinemäßige Immobilisation.

Weniger ist mehr

Wie Boutis und ihr Team berichten, war der Verlauf mit und ohne SH1DF-Befund im MRT "exzellent": Nach einem Monat konnten 72,1 Prozent der Kinder ohne Probleme voll belasten, nach drei Monaten 96,1 Prozent.

Auf der "Activity Scale for Kids" lagen die Kinder mit MRT-bestätigter distaler Fibulafraktur nach einem Monat bei 82,0 Prozent (Optimum: 100 Prozent), die ohne Fraktur bei 85,8 Prozent; dies entspricht einem nicht signifikanten Unterschied von 3,8 Prozent.

Am Ende der dreimonatigen Nachbeobachtung standen die Daten von 37 Kindern mit MRT-bestätigter Fraktur jeglicher Art zur Auswertung zur Verfügung. Von diesen waren alle in der Lage, ihre früheren Aktivitäten auszuführen. Von den 91 Kindern ohne Fraktur waren es 95,6 Prozent.

Die Studie, so die Autoren, habe bestätigt, dass bei negativem Röntgenbefund nur selten mit einer Beteiligung der fibulären Wachstumsfuge zu rechnen sei. Und selbst wenn der Verdacht auf eine SH1DF zuträfe, sei die Behandlung mit abnehmbarer Schiene offenbar ausreichend.

Im Sinne der Choosing Wisely-Kampagne und entsprechend dem Motto "weniger ist mehr" würden damit unnötige Maßnahmen und auch Kosten reduziert.

Ob die Kinder langfristig von Wachstumsverzögerungen verschont bleiben, müssen weitere Studien mit längerer Laufzeit zeigen. Nach der bisherigen Datenlage sind solche Störungen bei nicht dislozierten Frakturen der distalen Fibula aber selten, betonen Boutis und ihre Kollegen. Schließlich finde das Längenwachstum vornehmlich in der proximalen Wachstumsfuge statt.

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