HINTERGRUND

"Kinder und Jugendliche, die viel Alkohol vertragen, haben ein hohes Risiko, später alkoholkrank zu werden."

Von Christiane Inholte Veröffentlicht:

Je mehr Alkohol desto besser - so lautete das Motto der Clique von Stefan A. vor zehn Jahren. Heute ist Stefan A. 25 Jahre, und für ihn gilt als einzigen der Gruppe dieses Motto noch heute. Damals rühmte er sich damit, mehr Alkohol als alle anderen vertragen zu können und verspottete diejenigen, die schon nach drei Flaschen Bier betrunken waren.

Heute verspottet Stefan A. niemanden mehr - denn er ist Alkoholiker. "Kinder und Jugendliche, die viel Alkohol vertragen, haben ein hohes Risiko, im Laufe ihres Lebens alkoholkrank zu werden", sagt Privatdozent Ulrich S. Zimmermann. Das Risiko steige, wenn Kriterien der Sucht hinzu kämen.

Stefan A. gehört zu einem von etwa zwei Millionen Alkoholkranken in Deutschland. Seine Suchtkarriere begann, bevor er volljährig war. "Wie viele Minderjährige Alkoholiker sind, ist nicht bekannt", sagt der Privatdozent vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Bekannt sei, dass Kinder immer früher mit dem Trinken beginnen. Nach Angaben von Maria Eichhorn, der drogenpolitischen Sprecherin der Union, konsumieren Jugendliche im Schnitt schon mit 11,8 Jahren erstmals Alkohol, der erste Rausch ist mit 13,8 Jahren fällig.

"Die Gefahr von frühem Alkoholkonsum ist, dass Kinder, die bereits mit 13 Jahren regelmäßig Alkohol trinken, ein Risiko über 40 Prozent haben, im Laufe ihres Lebens Alkoholiker zu werden", erklärt Zimmermann. Beginnt der Alkoholkonsum ab dem 16. Lebensjahr, sei das Risiko niedriger, und es pendle sich bei regelmäßigem Alkoholkonsum ab Anfang 20 bei etwa zehn Prozent ein. Offenbar haben Kinder, die früh zu trinken beginnen, schon vorher ein bestehendes hohes Suchtrisiko. Oder aber Alkohol entfaltet seine Wirkungen auf das nicht ausgereifte Gehirn und erzeugt so ein Suchtrisiko.

Bis zum 20. Lebensjahr findet - vor allem in der Pubertät - ein Synaptic Refinement statt. Das bedeutet, dass effiziente synaptische Verbindungen in dieser Phase ausgebaut und ineffiziente abgebaut werden. Ziel ist, die Funktionen des Gehirns zu optimieren. "Wird in dieser Phase massiv Alkohol konsumiert, kommt es zu Veränderungen, besonders im präfrontalen Kortex und im Hippokampus", so Zimmermann.

Der Hippokampus spielt zum Beispiel eine zentrale Rolle für Lernen und Gedächtnis. Untersuchungen bei Minderjährigen weisen darauf hin, dass es bei hohem Alkoholkonsum zu Störungen des Langzeit- und vor allem des Kurzzeitgedächtnisses kommt. Messungen der Hirndurchblutung per Positronen-Emissions-Tomografie ergaben eine verringerte Aktivität im Hippokampus.

Zudem schrumpft durch Alkohol bei Abhängigen die Gehirnmasse. Die Ventrikel werden wie bei Alzheimer-Kranken größer. Eine Studie belegt, dass sich vor allem das Volumen des Hippokampus verringert. Die Ausprägung war umso stärker, je früher der Alkoholabusus begann und je länger der Missbrauch andauerte (Am J Psychiatry 157, 2000, 737). Bei Alkoholabstinenz kann sich das Gehirn jedoch teils wieder regenerieren.

Stefan A. hat schon dreimal versucht den Missbrauch einzustellen, ist aber immer wieder rückfällig geworden. "Der Entzug ist bei Minderjährigen einfacher als bei Erwachsenen", so Zimmermann. Das könnte daran liegen, dass sie wenig körperliche Symptome haben, wenn sie den Alkoholkonsum stoppen. Je jünger, desto besser ist die Alkoholverträglichkeit. Der Grund hierfür ist nicht geklärt.

Denn bei Teenies wird nach Angaben von Zimmermann nicht vermehrt Alkohol in der Leber abgebaut. Die Enzyme, etwa die Alkoholdehydrogenase, funktionieren wie beim Erwachsenen. Er vermutet, dass Teenies die Beeinträchtigung der Gehirnfunktionen weniger spüren als Erwachsene.

Stefan A. hat den Kampf gegen Alkohol aufgegeben. Nach einem Selbstmordversuch wird er derzeit in einer psychiatrischen Anstalt behandelt. "Gerade bei Jugendlichen mit Alkoholkonsum ist die Rate der Suizide hoch", so Zimmermann. Von den 50 000 bis 60 000 Menschen, die in Deutschland pro Jahr an den Folgen von Alkohol sterben, begehen zehn Prozent Suizid. Zwar gebe es auch hier keine Statistiken zur Sterberate bei Minderjährigen.

Bekannt sei aber, dass viele Suizide von jungen Konsumenten vorgenommen würden. "Häufig sind auch Unfälle unter Alkoholeinfluss die Todesursache", so der Suchtexperte. Und es würden immer wieder Teenager an einer Alkoholvergiftung sterben. Bei den meisten Erwachsenen mit massivem Alkoholgenuss führen dagegen meist die Folgen von Leberzirrhose, Varizenblutung, malignen Neubildungen oder Pankreatitiden zum Tod.

Alkoholverbot für unter 18-Jährige löst das Problem nicht

"Es weltfremd zu glauben, dass ein Alkoholverbot für Minderjährige das Problem beheben wird", meint Zimmermann. Alkoholtrinken gehöre zur psychosozialen Entwicklung dazu. Aufgabe der Erwachsenen sei es, den adäquaten Umgang mit Alkohol zu vermitteln und den Missbrauch einzudämmen. So sollten etwa "All-you-can-drink"-Partys verboten werden. Auch ein absolutes Werbeverbot für alkoholische Getränke und das Verbot von Freiproben könnten wirken.

Als eine positive Maßnahme gegen Alkoholmissbrauch nennt er die Preisanhebung bei Alkopops. Nach Untersuchungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung konsumierte 2004 etwa jeder zweite 12- bis 17-Jährige spirituosenhaltige Alkopops. 2005 waren es - nach der Preisanhebung - signifikant weniger (39 Prozent).

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