Gutenberg-Gesundheitsstudie

Lärm begünstigt psychische Probleme

Menschen, die unter einer lauten Umgebung leiden, entwickeln langfristig gehäuft Schlafstörungen und psychische Probleme. Das belegen Fünf-Jahres-Daten der Gutenberg-Gesundheitsstudie.

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:
Fluglärm – Platz 1 der als störend empfundenen Lärmquellen.

Fluglärm – Platz 1 der als störend empfundenen Lärmquellen.

© JeanLuc / stock.adobe.com

Mainz. Ein Zusammenhang zwischen Lärmbelästigung und psychischen Leiden ist bereits in früheren Studien beschrieben worden. Bei diesen Untersuchungen handelte es sich allerdings um Querschnittstudien, die nicht geeignet sind, zwischen Ursache und Wirkung zu differenzieren: Lärmbelästigung korreliert zwar mit dem messbaren Geräuschpegel, sie wird aber auch durch subjektive Faktoren beeinflusst.

Es könnte also durchaus sein, dass Menschen, die psychische Störungen haben, besonders geräuschempfindlich sind und deswegen eine höhere Lärmbelästigung angeben.

Ein Ärzteteam um Professor Manfred Beutel von der Universitätsklinik Mainz hat jetzt allerdings deutliche Hinweise, dass (auch) der umgekehrte Prozess zutrifft: Fünf-Jahres-Daten der Gutenberg-Gesundheitsstudie belegen, dass zunächst psychisch gesunde Teilnehmer, die eine starke Lärmbelästigung in ihrem Alltag angeben, langfristig vermehrt Schlafstörungen sowie Symptome einer Depression oder Angststörung entwickeln (Eur J Public Health 2020; online 8. Februar).

Bei Lärm stieg das Risiko für Störungen

In die Untersuchung konnten mehr als 9800 Studienteilnehmer (mittleres Alter 54 Jahre) einbezogen werden. Die Lärmbelästigung insgesamt war nach fünf Jahren ähnlich hoch wie zu Studienbeginn, etwa 80 Prozent der Beteiligten fühlten sich zumindest leicht, 28 Prozent sogar stark oder extrem gestört.

Die Letztgenannten erfüllten verglichen mit Personen ohne Lärmbelästigung häufiger Kriterien für eine Depression (zwölf versus sieben Prozent), eine Angststörung (zehn versus fünf Prozent) oder Schlafprobleme (26 versus 16 Prozent).

Eine starke Lärmbelästigung zu Studienbeginn erwies sich aber als zusätzlicher und unabhängiger Prädiktor für das neue Auftreten der genannten Störungen: Bei Belästigung am Tage stieg das Risiko für spätere Angst- und Schlafstörungen (plus 13 beziehungsweise fünf Prozent), bei nächtlicher Lärmbelästigung das Risiko für Depressions- und Angstsymptome (plus zwölf beziehungsweise 13 Prozent). Als weitere Risikofaktoren stellten sich weibliches Geschlecht, jüngeres Alter und ein geringer sozioökonomischer Status heraus.

Am meisten stört der Flugverkehr

Auf Platz 1 der als störend empfundenen Lärmquellen stand zu beiden Befragungszeitpunkten der Flugverkehr. Fluglärm am Tag korrelierte mit dem späteren Auftreten von Depression und Angst. Schlafstörungen wurden dagegen vor allem durch als zu laut empfundene Nachbarn induziert. Beim Straßenverkehr war nur aktuell eine Verbindung zu allen genannten Problemen festzustellen.

„Wir vermuten einen bidirektionalen Zusammenhang“, schreiben Beutel und Kollegen. Einerseits erhöhten psychische Leiden die Vulnerabilität für Geräusche, andererseits trügen lärmbedingte Störungen von Alltagsaktivitäten und Schlaf und negative emotionale Reaktionen zum späteren Auftreten von psychischen Erkrankungen bei.

Die ermittelten Effektgrößen seien zwar klein, trotzdem würden die Beobachtungen „die Notwendigkeit unterstreichen, die psychische Gesundheit zu schützen, indem wir Lärmbelastung und -belästigung reduzieren“.

Eine Limitation der Studie ist, dass die Lärmbelästigung, aber nicht die objektive Geräuschbelastung erfasst wurde; gewisse Verzerrungen sind daher nicht auszuschließen. Außerdem wurden psychische und Schlafprobleme nicht auf der Basis medizinischer Diagnosen, sondern anhand validierter Fragebögen (Patient Health Questionnaire-9) festgestellt.

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Ergebnis der UNITE-Studie

Migräne plus Depression: Fremanezumab wirkt offenbar doppelt

Das könnte Sie auch interessieren
Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

© Aleksandr | colourbox.de

Fatal verkannt

Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

© polkadot - stock.adobe.com

Vitamin-B12-Mangel

Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
B12-Mangel durch PPI & Metformin

© Pixel-Shot - stock.adobe.com

Achtung Vitamin-Falle

B12-Mangel durch PPI & Metformin

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Sexuelle Dysfunktion unter Antidepressiva!

© zoranm | gettyimages (Symbolbild mit Fotomodellen)

Metaanalyse

Sexuelle Dysfunktion unter Antidepressiva!

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Photosensibilisierung: So schützen Sie Ihre Patienten

© Studio4 | iStock (Symbolbild mit Fotomodell)

Sommer, Sonne, Nebenwirkung?

Photosensibilisierung: So schützen Sie Ihre Patienten

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Prognostizierbares Therapieansprechen?

© Stockbyte | gettyimages (Symbolbild mit Fotomodellen)

Antidepressiva

Prognostizierbares Therapieansprechen?

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Kommentare
Dr. Detlef Bunk 18.02.202012:05 Uhr

Gesundheitsabgabe...
Lärmbelästigung als auch das Wohnen in der Nähe von Flughäfen ist als pathogener Faktor bekannt und pathognomonisch für Schlafstörungen und ein ehöhtes Depressionsrisiko.
Nunmehr sollte die Politik sich stark machen, von den Betreibergesellschaften von Flughäfen eine Pathologisierungsabgabe an das kurative Gesundheitswesen zu leisten, die abhängig von der Bevölkerungsdichte im Umkreis von 10 km ist und betreffend der Kinder besonders hoch ist.
Dr. phil. Detlef Bunk, psychol. Psychoth., Essen

Sonderberichte zum Thema
Real-World-Datena bestätigten Ravulizumab in der klinischen Praxis

© [M] LASZLO / stock.adobe.com

Komplementinhibition bei generalisierter Myasthenia gravis

Real-World-Datena bestätigten Ravulizumab in der klinischen Praxis

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: Alexion Pharma Germany GmbH, München
Abb. 1: Studie VISION-DMD: motorische Funktion TTSTAND-Geschwindigkeit unter Vamorolon 6mg/kg/Tag im Vergleich zu Placebo (erstellt nach [13])

© [M] Springer Medizin Verlag GmbH; Santhera Germany GmbH

Therapie der Duchenne-Muskeldystrophie mit Kortikosteroiden über alle Altersstufen

Grundlagen und Real-World-Erfahrungen mit Vamorolon

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Santhera Germany GmbH, München
Abb. 1: Freisetzung von Neurofilamenten aus geschädigtem Axon

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [8]

Aktive schubförmige Multiple Sklerose

Serum-Neurofilament-Leichtketten: Nutzen für die Praxis

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Sie fragen – Experten antworten

RSV-Impfung: Was empfiehlt die DEGAM für Pflegeheimbewohner?

BAM-Kongress 2025

Brustschmerz in der Hausarztpraxis: Was tun?

„ÄrzteTag“-Podcast

GKV in der Krise – warum ist das Klassenzimmer die Lösung, DAK-Chef Storm und BVKJ-Präsident Hubmann?

Lesetipps
Nahaufnahme wie eine Kind ein orales Medikament einnimmt.

© Ermolaev Alexandr / stock.adobe.com

Häufiges Problem bei Kindern

Nach Medikamentengabe gespuckt – was tun?

Wie das Vorgehen bei einem Makrophagen-Aktivierungssyndroms am besten gelingt, erläuterte Dr. Peter Nigrovic beim Rheumatologen-Kongress EULAR in Barcelona.

© Katja Schäringer

Rheumatologen-Kongress

„Es braucht ein Dorf, um Morbus Still zu verstehen“