Hintergrund

Medikamentöse HIV-Prävention funktioniert

Ob mit Mikrobizid oder Tablette: Es ist offenbar möglich, sich mit Mitteln vor einer HIV-Infektion zu schützen. Das belegen mehrere Studien. Ist jemand HIV positiv, kann eine antiretrovirale HIV-Therapie die Virusmenge senken.

Von Andrea Warpakowski Veröffentlicht:

Eine moderne HIV-Therapie senkt die Virusmenge im Blut langfristig unter die Nachweisgrenze von 50 HIV-RNA-Kopien pro Milliliter. Das Fortschreiten der erworbenen Immunschwächekrankheit wird dadurch aufgehalten und die Immunkompetenz nahezu wieder hergestellt.

Außer diesen individuellen Vorteilen für HIV-Patienten ist die Senkung der Infektiosität ein wichtiger Effekt für die Prävention.

Dass eine HIV-Therapie auch die Virusmenge innerhalb einer Population senken kann, stellte der HIV-Therapeut Professor Jürgen Stellbrink aus Hamburg auf dem 5. Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress in Hannover anhand der Ergebnisse einer kanadischen Untersuchung dar.

Zahl der Neudiagnosen sank deutlich

In der Studie in British Columbia sank mit steigender Zahl getesteter und therapierter Patienten, die intravenös Drogen konsumierten, die Zahl der HIV-Neudiagnosen deutlich.

Darüber hinaus stützt eine Studie mit knapp 1800 HIV-diskordanten Paaren (97 Prozent heterosexuell) - einer der Partner ist HIV-positiv, der andere HIV-negativ - in Afrika, Asien und Amerika die kanadischen Ergebnisse.

Wurden die HIV-positiven Partner sofort antiretroviral behandelt statt erst bei einer CD4-Zellzahl von unter 250 pro Mikroliter - also bereits immungeschwächt -, sank die HIV-Transmissionsrate um 97 Prozent.

Ein mathematisches Modell geht ebenfalls davon aus, dass bei einem weit verbreiteten freiwilligen HIV-Test und sofortigem Beginn einer HIV-Therapie unabhängig von der CD4-Zellzahl die HIV-Transmission nahezu gegen Null geht.

Frühes Testen und frühes Therapien

Allerdings ist Stellbrink zufolge frühes Testen und frühes Therapieren nur dann ethisch vertretbar, wenn das Therapieziel die Maximierung des individuellen Vorteils ist, ein Auftrag durch den Patienten im Behandlungsverhältnis besteht und keine Nachteile im Einzelfall bestehen.

Dieser individualtherapeutische Ansatz könne unter Umständen auch die HIV-Therapie zum Schutz vor einer Infektion wie Post- und Präexpositionsprophylaxe (PEP und PrEP) oder zum Schutz anderer vor HIV-Infektion wie die Prävention der Mutter-Kind-Übertragung beinhalten.

Dass durch eine wirksame HIV-Therapie auch ein gesellschaftlicher Vorteil durch die geringere Infektiosität der Einzelnen besteht, sieht Stellbrink als positiven Nebeneffekt, nicht jedoch als alleiniges Ziel.

Zentrale Frage der Forschungsstrategie "frühes Testen, frühes Behandeln" sei, ob eine lebenslange Therapie, die so früh wie möglich begonnen wird, für den einzelnen Patienten einen langfristigen Nutzen bringt, der nicht durch die Toxizität der Medikamente und Langzeitkomplikationen überwogen wird, so Stellbrink.

Befürworter der HIV-Therapie als Prävention bekamen Aufwind

Die Befürworter einer HIV-Therapie als Prävention bekamen im vergangenen Jahr Aufwind, weil es nach mehreren Rückschlägen erste vielversprechende Ergebnisse mehrerer medikamentöser Präventionsstrategien gab (wir berichteten).

So konnte zum Beispiel in der Studie CAPRISA-004 gezeigt werden, dass bei sexuell aktiven Südafrikanerinnen ein topisches Mikrobizid, das den nukleotidalen Reverse-Transkriptase-Hemmer Tenofovir enthält, die Transmissionsrate um 39 Prozent senkte. Frauen, die das Gel bei vier von fünf Geschlechtsakten anwandten, hatten sogar ein um 54 Prozent geringeres HIV-Risiko.

Ein weiteres Beispiel: In der iPREX-Studie wurde - wie berichtet - eine orale Präexpositionsprophylaxe mit den beiden Enzymhemmern Tenofovir und Emtricitabin bei knapp 2500 Männern geprüft, die Sex mit Männern haben.

Nach 2,5 Jahren verringerte die Einnahme von Tenofovir/Emtricitabin im Vergleich zur Placebo-Gruppe die Rate der Transmissionen um 44 Prozent. Nahmen die Männer die Präparate regelmäßig ein, verringerte das die Transmissionsrate um 68 Prozent.

Leitline zum Einsatz der PrEP

Die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) erstellte daraufhin eine Leitlinie zum Einsatz der PrEP. Bei afrikanischen Frauen wirkte die orale PrEP mit Tenofovir/Emtrictabin dagegen nicht. Die Studie FEM-PrEP wurde vorzeitig abgebrochen, da sich in der Verum- und in der Placebo-Gruppe gleich viele Frauen mit HIV infizierten.

Stellbrinks Resümee: Insgesamt scheint das Prinzip der medikamentösen Prävention zu funktionieren, und das immerhin besser als alle bisherigen untersuchten Impfungen -auch wenn sie noch nicht ausgereift ist.

Die HIV-Prävention besteht heute aus vielen Bausteinen - den klassischen Methoden wie Beratung, niedrigschwelliger Testangebote und Safer Sex sowie neueren beziehungsweise zukünftigen Bausteinen wie HIV-Therapie des HIV-positiven Partners, PEP und PrEP.

PrEP: Präexpositionsprophylaxe

Eine jener Strategien, das Risiko einer Infektion mit dem Aids-Erreger HIV drastisch zu reduzieren, ist die Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Frühere Studien hatten bereits Hinweise dafür erbracht, dass bei Männern, die Sex mit Männern haben, das Risiko, sich mit dem Virus anzustecken, durch eine antiretrovirale Therapie deutlich verringert wird. An den Studien hatten Männer teilgenommen, die ein besonders hohes Risiko hatten, sich zu infizieren, etwa aufgrund riskanter Sexualpraktiken. Inzwischen wird dieser Präventionsansatz auch bei Heterosexuellen sowie bei Menschen geprüft, die Drogen intravenös gebrauchen.

Große PrEP-Studien werden unter anderen von den US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC) begleitet. Geprüft wird die Therapie mit dem Enzymhemmer Tenofovir allein oder in Kombination mit der HIV-Arznei Emtricitabin. (ple)

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