Methadon und Co.: Schärfere Regeln auch für Ärzte

Nach dem Hamburger Methadon-Skandal verschärft jetzt Bremen die Regeln für die Drogensubstitution. Damit sollen vor allem Kinder von drogenabhängigen Patienten besser geschützt werden.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Die Abgabe von Methadon ist immer wieder umstritten.

Die Abgabe von Methadon ist immer wieder umstritten.

© blacksock / fotolia.com

BREMEN. Konzertierte Aktion gegen Missbrauch bei der Substitution: Bremer Substitutionspatienten werden in Zukunft intensiver betreut und genauer kontrolliert, besonders Patienten mit Kindern.

Deutschlandweit einmalig haben sich im Laufe des vergangenen Jahres in Bremen unter anderem die KV, Ärztekammer, Apothekerkammer, Jugend- und Sozialbehörde sowie Kinderärzte zum runden Tisch Substitution zusammengeschlossen.

Als Zwischenergebnis der Beratungen gelten seit kurzem für Bremer Ärzte verbindliche Standards im Umgang mit Methadonpatienten.

Ärzte sollen von Schweigepflicht entbunden werden

So sollen Ärzte auf Basis einer Schweigepflichtentbindung durch die Methadonpatienten ans Jugendamt melden können, ob ihre Patienten Kinder haben.

"Bei Kindeswohlgefährdung geht selbstverständlich weiterhin Kinderschutz vor Datenschutz", sagt Anton Bartling von der Bremer Sozialbehörde. Dann könne auch gemeldet werden, wenn keine Schweigepflichtentbindung vorliegt.

In Bremen leben 1877 Patienten, die von 66 Drogensubstitution anbietenden Ärzten Methadon erhalten (Stand Oktober 2011). Wie viele der Patienten Kinder haben, weiß man nicht genau.

"Denn drogensüchtige Patienten kommen oft aus Patchworkfamilien, sie leben also nicht unbedingt mit ihren leiblichen Eltern zusammen", sagt Manfred Adryan von der AOK Bremen/Bremerhaven. Adryan ist Vorsitzender der Qualitätssicherungskommission bei der KV Bremen. "Außerdem ändern Methadonpatienten ihre Lebensverhältnisse häufiger".

Alarmierende Ergebnisse bei Haaranalysen von Kindern

Hintergrund der Maßnahmen sind die alarmierenden Ergebnisse von Haaranalysen bei Kindern drogensüchtiger Eltern in Bremen und Bremerhaven.

So wurden in Bremerhaven bei 20 von 24 untersuchten Haarproben von Kindern drogenabhängiger Eltern Drogenrückstände gefunden. Das bestätigte Jugend- und Sozial-Stadtrat Klaus Rosche (SPD) der "Ärzte Zeitung".

Bei einer Untersuchung in Bremen hatte sich 2011 gezeigt, dass 69 von 88 untersuchten Haarproben mit Drogenrückständen belastet waren. In Zukunft sollen darum alle an einer Substitution teilnehmenden Patienten eine psychosoziale Betreuung erhalten, so der Wille des runden Tisches.

Die Ärzte sollen die Patienten deshalb an die entsprechenden Drogenhilfeeinrichtungen der Stadt überweisen.

"Bisher erhielt nur etwa die Hälfte der Substitutionspatienten diese Betreuung", so Adryan. Patienten, bei denen eine solche Betreuung dann unnötig erscheint, sollen nach einem Jahr erneut überwiesen werden.

Auch die "Take-home-Regelung" soll konsequenter angewendet werden. "Offenbar wurde die Regelung in der Vergangenheit recht lax gehandhabt", vermutet Bartling.

In Zukunft sollen nur solche Patienten Methadon für mehrere Tage erhalten, die etwa in einer eigenen Wohnung leben, ihren Haushalt nicht mit Kindern teilen oder keinen Beigebrauch von Alkohol oder anderen Drogen haben.

"Eine Ausnahme von der Kinderregelung kann nur dann gemacht werden, wenn das Jugendamt zustimmt", erklärt Adryan.

Kein Methadon für Angetrunkene

Besonders bei den Beigebrauchskontrollen wird in Zukunft schärfer geprüft. "Für uns ist Alkohol kein Kavaliersdelikt mehr", sagt Bartling.

"Wer angetrunken in die Praxis kommt, erhält kein Methadon." Es liegt allerdings beim Arzt, ob er bei einer Atemalkoholkontrolle 0,5 Promille noch akzeptiert.

Bei der Urinkontrolle soll zukünftig ein Massenspektrometer eingesetzt werden. Zusätzlich können Haaranalysen besonders bei Patienten mit Kindern oder Kindern von Patienten für mehr Sicherheit sorgen.

Auch Bremens Apotheker sollen aufmerksamer sein, wenn etwa ein zweifelhafter Kunde mit Privatrezepten für Benzodiazepine in die Apotheke kommt. Dann ist der Apotheker gehalten, beim verordnenden Arzt Rücksprache zu halten.

Besteht der auf die Verordnung, so soll der Apotheker den Arzt der Kammer melden. Apotheker- und Ärztekammer werden einen entsprechenden gemeinsamen Leitfaden verhandeln.

Nach Kevins Tod blieb erst einmal alles beim Alten

"Uns geht es mit den Maßnahmen vor allem um größere Aufmerksamkeit für die Versorgung von Methadonpatienten und dem Schutz ihrer Kinder", erklärt Bartling.

Bereits nach dem tragischen Tod des Kleinkindes Kevin bei seinem drogenabhängigen Vater in Bremen hatte die KV Bremen ihre Mitglieder zu mehr Aufmerksamkeit und zum Melden von Verdachtsfällen aufgefordert. "Da geschah aber wenig", so Bartling.

"Das ist jetzt anders. Die intensive Diskussion und die Stimmung unter den Beteiligten führt zu mehr Meldezahlen, also zu höherer Aufmerksamkeit. Die Ärzte haben ihre gewachsene Verantwortung angenommen."

Der Runde Tisch befasst sich derzeit auch mit Datenschutzfragen. Heute werden die bisherigen Ergebnisse den Deputationen für Soziales, Jugend und Kinder vorgelegt.

Deputationen sind Verwaltungsausschüsse der Bremischen Bürgerschaft, die die Arbeit der Landes- und Stadtbehörden kontrollieren.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Bremen lernt, andere hoffentlich auch!

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Rauchfreies Europa?

Rauchstopp: EU hat neben Tabak auch Nikotin im Blick

Das könnte Sie auch interessieren
Was die MS-Behandlung auszeichnet

© Suphansa Subruayying | iStock

Lebensqualität

Was die MS-Behandlung auszeichnet

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

© AscentXmedia | iStock

Lebensqualität

Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Prognostizierbares Therapieansprechen?

© Stockbyte | gettyimages (Symbolbild mit Fotomodellen)

Antidepressiva

Prognostizierbares Therapieansprechen?

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Depression und Schmerz gehen häufig Hand in Hand

© brizmaker | iStock (Symbolbild mit Fotomodell)

Depressionsscreening

Depression und Schmerz gehen häufig Hand in Hand

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema

Ist das AMNOG bereit für HIV-Innovationen?

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Gilead Sciences GmbH, Martinsried
Arzneiforschung: Von Innovationen profitieren nicht nur Patienten, sondern immer auch die Gesellschaft als Ganzes.

© HockleyMedia24 / peopleimages.com / stock.adobe.com

Nutzenbewertung

Arznei-Innovationen: Investition mit doppeltem Nutzen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa)
Mehr als ein oberflächlicher Eingriff: Die Krankenhausreform verändert auch an der Schnittstelle ambulant-stationär eine ganze Menge.

© Tobilander / stock.adobe.com

Folgen der Krankenhausreform für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte

Die Klinikreform bringt Bewegung an der Schnittstelle zwischen Praxen und Krankenhäusern

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztbank (apoBank)
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Daten aus Wales

Infarktrisiko steigt offenbar auch nach Harnwegsinfekt

Brenzlige Situationen

Umgang mit schwierigen Patienten - Tipps für MFA

Lesetipps
Ein Vorteil bei ärztlichen Patientinnen und Patienten: Die Kommunikation läuft direkter. (Motiv mit Fotomodellen)

© contrastwerkstatt / stock.adobe.com

Berufsrecht

Kollegen als Patienten? Was das fürs Honorar bedeutet

Ein Geldschein liegt in einer Mausefalle.

© photo 5000 / stock.adobe.com

Knackpunkt Selbstzahlerleistungen

Der richtige Umgang mit IGeL-Fallen