INTERVIEW

Mit Enfuvirtid gegen HIV sind Behandlungswege möglich, die bisher nicht beschritten werden konnten

Weil es eine innovative Therapie gegen HIV ermöglicht, ist das Medikament Fuzeon® - wie gemeldet - mit dem Prix Galien International ausgezeichnet worden. Für Jury-Mitglied Professor Björn Lemmer aus Heidelberg hat das Mittel eine Vorreiterrolle, wie er im Gespräch mit Peter Leiner von der "Ärzte Zeitung" sagt.

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Ärzte Zeitung: Was war ausschlaggebend für die Entscheidung, Fuzeon® mit dem Prix Galien International auszuzeichnen?

Lemmer: Der wesentliche Grund war, daß es ein innovatives Behandlungsprinzip zur Behandlung von Patienten mit therapieresistenten HIV-Infektionen ist. Der Markenname drückt auch das Funktionsprinzip aus: Es handelt sich um den ersten Fusionshemmer, eine neue Klasse von antiretroviralen Substanzen. Dies war der wesentliche Grund für die Entscheidung der internationalen Jury. Therapeutisch genutzt wird das Medikament nur nach einer optimierten antiretroviralen Kombinationstherapie, also nicht als Monotherapie.

Ärzte Zeitung: Wie wirkt es?

Lemmer: Das synthetisch aus 36 Aminosäuren hergestellte Peptid Enfuvirtid greift an der Außenseite der Zellen an, die HIV befallen will. Es wirkt also ganz anders als die bisherigen Medikamente, die in der Zelle die Vermehrung von HIV verhindern. Durch die Bindung an einen spezifischen Rezeptor auf der Zellmembran verhindert die Substanz die Einschleusung von HIV in die Wirtszelle. Das ist das neue Wirkprinzip.

Ärzte Zeitung: Wie wird das Mittel therapeutisch genutzt?

Lemmer: Das Mittel muß zweimal am Tag subkutan injiziert werden. Bei den meisten Patienten treten zumindest initial lokal Reaktionen an der Injektionsstellen auf, etwa Verhärtungen, Schmerzen, Knoten oder Zysten. Das zwingt aber nur wenige Behandelten zum Abbruch der Therapie. Aber es stellt sich ein Compliance-Problem, wenn das Mittel durch den Patienten injiziert werden muß und dabei unerwünschte Wirkungen auftreten. Zudem kommt es unter Enfuvirtid etwa achtmal häufiger zu bakteriellen Pneumonien als bei Therapie mit den bisherigen Medikamenten. Die Gründe dafür sind bisher nicht klar. Außerdem kommt es relativ rasch zu einer Resistenzentwicklung gegen das Medikament. Es ist deshalb ein wichtiges Prinzip, das Mittel erst dann zusätzlich zu geben, wenn die antiretrovirale Kombinationstherapie bereits optimiert ist.

Ärzte Zeitung: Und wie sieht es mit den Kosten für die Behandlung mit dem Fusionshemmer aus?

Lemmer: Es ist eine sehr teure Therapie. Sie kostet etwa 24 000 Euro pro Jahr. Die Medikamentenkosten der bisherigen Kombinationstherapie liegen zwischen 17 000 und 25 000 Euro im Jahr. Wenn also die Kosten für den Fusionshemmer noch hinzukommen, führt das zu enorm hohen Kosten. Die Entscheidung, das Medikament mit dem Prix Galien International auszuzeichnen, beruht aber wie gesagt darauf, daß man mit diesem Medikament eine Substanz in der Hand hat, die einen völlig neuen Angriffspunkt hat, und daß damit Wege gegangen werden, die bisher nicht beschritten werden konnten.

Ärzte Zeitung: Die Auszeichnung erfolgte also dafür, daß das Medikament eine Vorreiterrolle hat...?

Lemmer: ...eine Vorreiterrolle, weil es einen neuen Wirkmechanismus hat und damit auch ein neuer Weg in der Forscher oder Optimierung dieses Prinzips gegangen werden kann.

Ärzte Zeitung: Wie viele Patienten kommen in Deutschland für eine Therapie mit dem Mittel in Frage?

Lemmer: Genau kann man das derzeit nicht sagen. Die Wirksamkeit dieses neuen Therapieprinzips ist in zwei offenen klinischen Studien (TORO-1, TORO-2) nachgewiesen worden. In der amerikanisch-brasilianischen und der europäisch-australischen Studie wurde weitgehend übereinstimmend an etwa 1000 Patienten gezeigt, daß durch die zusätzliche Gabe von Enfuvirtid bei einer bereits optimierten Therapie ein signifikanter Effekt auf den Krankheitsstatus erreicht werden kann. Dies spiegelt sich in der Abnahme der Virusmenge im Blut wider, bei etwa 20 Prozent der Behandelten wurde die Viruslast unter die Nachweisgrenze gesenkt, ein eindeutiger Effekt. Der Fortschritt durch Enfuvirtid ist, daß man zusätzlich über die bisherige Kombinationstherapie hinaus noch etwas erreichen kann. Das gilt sicher nur für eine kleine Gruppe von HIV-Infizierten.

Ärzte Zeitung: Wie groß ist das Resistenzpotential gegen Fuzeon®?

Lemmer: Die Resistenz soll sich den Studiendaten zufolge relativ schnell entwickeln. In einer Studie (Wei et al., Antimicrob Agents Chemother 46, 2002, 1896) wurde gezeigt, daß 2 von 16 HIV-Patienten innerhalb von 14 Tagen eine Resistenz entwickelten. Aufgrund der hohen Kosten, der Probleme mit der Compliance, der unerwünschten Wirkungen und der Resistenzentwicklung wird es zwar nicht ein Medikament werden, das für alle HIV-Infizierten verwendet werden kann. Aber vielleicht ist das Medikament ein Anstoß dafür, daß andere ähnliche Pharmaka entwickelt werden, die vielleicht weniger unerwünschte Wirkungen haben.

Ärzte Zeitung: Sind da schon neue Medikamente in Aussicht?

Lemmer: Es gibt sicher Unternehmen, die dieses neue Prinzip weiterentwickeln. Auf dem Markt sind aber noch keine weiteren derartigen Medikamente.

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