IPV und OPV

Neue Impfstrategie solle besser gegen Polio schützen

Die kombinierte Anwendung von zwei Polio-Impfstoffen ist jetzt in einer Studie geprüft worden. Wie sich herausgestellt hat, spielt die Reihenfolge bei der Schleimhautimmunität und der Virenausscheidung eine Rolle.

Veröffentlicht:
Impfaktion in Afghanistan: Ein Helfer gibt einem Kind die Schluckimpfung gegen Poliomyelitis.

Impfaktion in Afghanistan: Ein Helfer gibt einem Kind die Schluckimpfung gegen Poliomyelitis.

© EPA/JALIL REZAYEE / dpa

NEU DELHI. Die Polio-Schluckimpfung ist entscheidend für den Erfolg der weltweiten Eradikationsprogramme. Da der Impfstoff aber in seltenen Fällen zu Impfpolio führen kann, wird ein Umstieg auf die injizierbaren Totimpfstoffe angestrebt.

Die kombinierte Anwendung der oralen Poliovakzine (OPV) und der injizierbaren Poliovakzine (IPV) könnte künftig die weltweite Eradikation von Polioviren verbessern helfen.

Das berichtet ein Forscherteam um Dr. Hamid Jafari vom India National Polio Surveillance Project der Weltgesundheitsorganisation WHO in Neu Delhi (Science 2014, online 21. August). An seiner Studie dazu waren fast 1000 Kinder im Alter von sechs Monaten bis zehn Jahren aus Nordindien beteiligt.

Polioviren werden bekanntlich durch Schmierinfektionen übertragen. In Deutschland und anderen Industrieländern wird mit injizierbaren Poliovakzinen, das heißt mit inaktivierten Viren, gegen die Infektionskrankheit geimpft. In Entwicklungsländern wird dagegen immer noch die leicht zu verabreichende Schluckimpfung mit abgeschwächten, aber noch funktionsfähigen Erregern verwendet.

Impfpolio bereitet Probleme

Die orale Polio-Vakzine ist hochwirksam, weil der orale Impfstoff das Abwehrsystem der Darmschleimhaut stimuliert und so zu Schleimhautimmunität führt. Die Erreger werden so direkt an der Eintrittspforte der Infektion abgefangen.

Frisch geimpfte Personen scheiden außerdem das abgeschwächte Virus eine Weile lang mit dem Stuhl aus. Menschen in ihrem Umfeld kommen so ebenfalls häufig in Kontakt mit den Impfviren und frischen dabei ihre Abwehrkräfte auf.

Der Nachteil von oralen Polio-Vakzinen besteht in den unerwünschten Wirkungen: Die abgeschwächten Viren können in sehr seltenen Fällen in pathogene Viren zurückmutieren und so entweder bei Impflingen oder bei Kontaktpersonen zu Polio führen.

Eine weltweite Eradikation von Polio könnte deshalb dauerhaft nur nach einem Umstieg von oralen Polio-Vakzinen auf injizierbare Poliovakzinen gelingen. Auch sind in poliofreien Ländern die Nebenwirkungen von oralen Polio-Vakzinen nicht hinnehmbar. In Deutschland wird daher seit 18 Jahren nur noch mit injizierbaren Polio-Vakzinen gegen Polio geimpft.

Die Schluckimpfung hat darüber hinaus eine weitere Schwäche, schreiben die Wissenschaftler: Die Schleimhautimmunität schwindet nach der Impfung wieder, für einen ausreichenden Schutz sind daher mehrere Impfdosen notwendig.

In der Studie prüfte das Wissenschaftler-Team um Jafari nun, ob die Kombination von injizierbaren Poliovakzinen und oralen Polio-Vakzinen die Schleimhautimmunität erhöht. Hierzu wurden die Kinder aus dem nordindischen Staat Uttar Pradesh zunächst entweder mit injizierbaren Poliovakzinen, mit oraler Polio-Vakzine oder überhaupt nicht geimpft. Vier Wochen später bekamen dann alle Studienteilnehmer die Schluckimpfung .

In den vergangenen Jahren massiver Rückgang

Das Ergebnis lautete: Kinder, die zuerst injizierbare Poliovakzine und dann erst die orale Polio-Vakzine erhalten hatten, erreichten nicht nur eine höhere Schleimhautimmunität im Vergleich zu den anderen Gruppen - sie schieden auch weniger Viren mit dem Stuhl aus.

Die injizierbaren Poliovakzinen sollten aus diesem Grund genutzt werden, um in Ländern, die nur einen schlechten Zugang zu Impfungen haben, die Ausrottung des Virus zu beschleunigen, bewerten die Forscher um Jafari die Ergebnisse ihrer Studie.

Mit Impfprogrammen zur Polio-Eradikation wurden die Viren in den vergangenen Jahren massiv zurückgedrängt. Die Zahl der Endemieländer ist weltweit seit dem Jahr 1988 von 125 auf nur noch drei gesunken, und zwar Nigeria, Pakistan und Afghanistan. Allerdings werden die Erreger aus den verbliebenen Endemiegebieten immer wieder in andere Länder exportiert.

In Deutschland ist die letzte erworbene Poliomyelitis-Erkrankung durch ein Wildvirus nach den Angaben des Robert Koch Instituts im Jahr 1990 erfasst worden. Die letzten beiden importierten Fälle von Poliomyelitis waren im Jahr 1992 registriert worden. (eis, mit Material von dpa)

Jetzt abonnieren
Mehr zum Thema
Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 02.09.201421:40 Uhr

Neue Impfstrategie gegen Polio?

Seit meiner Praxisgründung 1992 hat kein/e einzige/r Patient/in meine Praxis verlassen, ohne nicht mindestens einmal auch gegen Polio geimpft worden zu sein. Da kann die in der Polio-Frage eher verschnarchte, sonst aber die Impf-Industrie immer anhechelnde STIKO sagen, was sie möchte. Es hat in den Niederlanden um 1995 (UNICEF April 2013) einmal einen Polio-Ausbruch bei einer calvinistischen Impfgegner-Sekte ("was der HERR gegeben hat, soll ER auch wieder nehmen") gegeben.

Der Polio-IPV-Totimpfstoff erzeugt gegenüber der früheren OPV- Schluckimpfung mit abgeschwächtem, attenuiertem Lebendimpfstoff nur eine zeitlich begrenzte Immunität. In den Jahren des Wechsels von der Schluckimpfung als orale Polio-Vaccination zur Spritzenimpfung mit inaktiviertem Polio-Impfstoff (IPV) lag 1999 der Durchimpfungsgrad für Polio noch bei 96 %.

Die so erfolgreiche Schluckimpfung in Deutschland seit 1962 musste u. a. deswegen zur IPV modifiziert werden, weil es in Berlin einen spektakulären Impfpoliofall gegeben hatte. Dieser beschäftigte selbst den Bundesgerichtshof (BGH). Damals hatte eine junge Mutter ihr frisch geimpftes Kleinkind einem jungen Mann mit negativem Impfstatus zur längeren Betreuung anvertraut, der offensichtlich nicht nur mit der e i g e n e n Hygiene beim Windelwechseln völlig überfordert war und sich dabei selbst mit Polio-I m p f-Viren infizierte.

Der damals den Säugling impfenden Amtsärztin wurde höchstrichterlich vorgehalten, sie hätte die Mutter über diese extrem seltene Polio-Impfkomplikation aufklären und über die Infektionsgefahren einer derart marginalen, aber grundsätzlich möglichen Konstellation informieren müssen.

In Übereinstimmung mit internationalen Gepflogenheiten empfahl die STIKO deshalb seit 1998 nur noch die Verwendung des inaktivierten Polio-Impfstoffes (IPV), um die im Zusammenhang mit der Lebendvakzine auftretenden Impfpoliofälle (VAPP) zu vermeiden. Diese Regelung muss offensichtlich weltweit revidiert werden.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Hans-Jürgen Schrörs 02.09.201407:55 Uhr

Polio Stand der Eliminierung weltweit 2014

Im Jahr 2013 und 1. HJ 2014 gab es nach angaben der WHO nicht drei sondern acht Endemieländer: Nigeria, Kenia, Äthiopien, Kamerun, Somalia, Pakistan, Syrien, Afghanistan und Irak. In den Ländern Tschad und Niger wird WPV (Poliowildvirus) vermutet, die Behäörden machten aber gegenüber der WHO keine Angaben. Siehe auch Übersichtstabelle im Impfbrief-online: http://www.impfbrief.de/index.php?nav=30&uunav=999
Dr.med. Hans-Jürgen Schrörs, Herausgeber Impfrief-online

Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Leitartikel

Datenschutz ist zugleich auch Praxisschutz

Netzwerk-Metaanalyse von 139 Studien

Gonarthrose: Viele Optionen, doch nur wenige funktionieren

Chronisches Kreuzweh

Studie: Rauchen lässt den Rücken schmerzen

Lesetipps
Schwindel kann viele unterschiedliche Ursachen haben. Mit den richtigen Fragen kommt man aber zur richtigen Diagnose.

© Andrey Popov / stock.adobe.com

BAM-Kongress 2025

Schwindel in der Hausarztpraxis: Fünf Fragen zur Ursachenfindung

Prophylaktische Maßnahmen sind der beste Weg, um Infektionen bei Krebspatientinnen und -patienten zu verhindern. Während und nach ihrer Chemotherapie sind sie dafür besonders anfällig. (Symbolbild)

© RFBSIP / stock.adobe.com

Vorbeugen ist besser als heilen

Wie die Infektionsprophylaxe bei Krebspatienten gelingt

Die Ärzte Zeitung hat jetzt auch einen WhatsApp-Kanal.

© prima91 / stock.adobe.com

News per Messenger

Neu: WhatsApp-Kanal der Ärzte Zeitung