HINTERGRUND

Ob Schlägle oder Schlaganfall - die Konsequenzen sind die gleichen

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Von einem "Schlägle" wird im süddeutschen Raum gern gesprochen, wenn Patienten einen minderschweren Hirnschlag erlitten haben oder eine transitorische ischämische Attacke (TIA). Für viele Patienten steckt in dem Ausdruck die Botschaft: Ein "Schlägle" ist nicht so schlimm, und auch der Begriff TIA vermittelt, die Störung sei ja nur vorübergehend.

Die Schlaganfallforschung versucht, Patienten und Ärzte zum Umdenken zu bewegen: Ob minderschwerer Hirnschlag oder TIA - beides sollte dazu führen, daß sofort in einem qualifizierten Zentrum nach einer Möglichkeit gesucht wird, weiteren zerebrovaskulären Attacken vorzubeugen.

Denn das Risiko dafür ist hoch: Nach einer TIA kommen 25 Prozent der Betroffenen innerhalb von 90 Tagen wieder ins Krankenhaus, die Hälfte davon mit einem Schlaganfall, die übrigen mit einer weiteren TIA oder einem Herzinfarkt.

Bei hohem Risiko ist rasche Intervention nötig

Das ist bei einer Schlaganfall-Konferenz in Bologna berichtet worden. Und die Forscher haben noch etwas deutlich gemacht: Die Grenzen zwischen Primär- und Sekundärprävention des Schlaganfalls verschwimmen immer stärker. Es gilt, Schlaganfallrisiken früh zu erkennen und - wenn möglich - zu minimieren.

TIA sind definiert als fokale neurologische Funktionsstörungen, die sich innerhalb von 24 Stunden wieder vollständig zurückbilden, 80 Prozent der Symptome einer TIA halten weniger als eine halbe Stunde an. Es sind meist halbseitige, plötzlich auftretende Schwäche oder Gefühlsstörungen im Kopf- und Oberkörperbereich, Probleme mit dem Sprechen oder Verstehen von Sprache, Sehstörungen, Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht oder der Bewegungskoordination.

"Aber es gibt auch Patienten, bei denen plötzlich aufgetretene starke Kopfschmerzen eine Diagnostik mit bildgebenden Verfahren auslösen und sich eine Stenose findet", berichtete Professor Jay P. Mohr aus New York City.

Risikofaktoren für zweite TIA wurden identifiziert

Peter R. Rothwell von der Stroke Prevention Research Oxford-University in Großbritannien hält es für sinnvoll, jene Patienten mit TIA zu identifizieren, die ein hohes Risiko haben, in den nächsten ein, zwei Wochen eine weitere Hirnattacke zu bekommen, um auf diese Gruppe die prophylaktischen Maßnahmen zu konzentrieren.

In Kohortenstudien haben sich nach seinen Angaben sechs Hauptrisikofaktoren für ein weiteres Ereignis innerhalb von 90 Tagen nach TIA herauskristallisiert: Alter über 60 Jahre (Risiko doppelt so hoch), Diabetes mellitus (Risiko zweifach erhöht), Symptome länger als zehn Minuten (Risikofaktor 2,3), Schwächegefühl (Risikofaktor 2), Sprachprobleme (Risikofaktor 1,5), erhöhter Blutdruck (systolisch über 150 mm Hg, Risikofaktor 2,5).

Nach einer TIA kommen als Prophylaxe eine Endarterektomie (nach höhergradiger Karotisstenose) sowie eine prophylaktische Gerinnungshemmung mit Thrombozytenaggregationshemmern oder Antikoagulantien in Frage. Unter den Thrombozytenaggregationshemmern habe sich Clopidogrel bei Hochrisikopatienten als effektiver erwiesen in der Reduktion der Risikos für zerebro- und kardiovaskuläre Ereignisse als Acetysalizylsäure (ASS), berichtete Professor Grame Hankey vom Royal Hospital in Perth in Australien bei einer Veranstaltung der Unternehmen Sanofi-Aventis und Bristol-Myers Squibb.

Hankey erinnerte für die Sekundärprävention an die Ergebnisse der CAPRIE-Studie: Bei Patienten mit Hirn- oder Herzinfarkt in der Vorgeschichte oder symptomatischer Herzerkrankung war durch eine Prophylaxe mit Clopidogrel (Iscover®, Plavix) die Rate eines weiteren vaskulären Ereignisses um 8,7 Prozent niedriger als bei ASS. In der CURE-Studie mit Herz-Patienten (MI oder instabile Angina pectoris) war mit Clopidogrel die Rate für ein kardio- oder zerebrovaskuläres Ereignis um 20 Prozent niedriger als bei einer Prophylaxe mit ASS.

Jetzt soll die CHARISMA-Studie (Clopidogrel for High Atherothrombotic Risk and Ischemic Stabilization, Management and Avoidance) klären, ob Clopidogrel plus ASS wirkungsvoller ist in der Prophylaxe von Herz- und Hirninfarkten sowie Tod durch ein zerebro- oder kardiovakuläres Ereignis als ASS allein. Die Studienteilnehmer haben eine zerebro- oder kardiovaskuläre Erkrankung oder ein hohes Risiko für solche Ereignisse. Mit Ergebnissen sei 2006 zu rechnen.

"Dann werden wir erstmals wissen, ob die zusätzliche Verabreichung von Clopidogrel zu ASS wirkungsvoller zerebro- und kardiovaskuläre Ereignisse verhindert als ASS allein, in der Primär-, und in der Sekundärprophylaxe", sagte Professor Werner Hacke von der Uniklinik Heidelberg.



FAZIT

Nach einem minder schweren Schlaganfall oder einer TIA sollte sofort nach einer Möglichkeit gesucht werden, das Schlaganfall-Risiko zu vermindern. Die Grenzen zwischen Sekundär- und Primärprävention eines Schlaganfalls oder einer TIA verschwimmen immer mehr. Bei hohem Risiko gilt es, rasch zu intervenieren. Ob die zusätzliche plättchenhemmende Therapie mit Clopidogrel zu ASS in der Sekundär- und in der Primärprävention wirkungsvoller ist als ASS allein, wird derzeit in der CHARISMA-Studie untersucht.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Ergebnisse der Studien ASSET-IT und MOST

Was nützt die Lyse-Augmentation bei Schlaganfall?

Das könnte Sie auch interessieren
PAP senkt Mortalität signifikant

© ResMed

Lancet: Neue Meta-Analyse

PAP senkt Mortalität signifikant

Anzeige | ResMed Germany Inc.
Wie UKPS den Weg zurück in die Therapie öffnet

© ResMed

PAP scheitert oft

Wie UKPS den Weg zurück in die Therapie öffnet

Anzeige | ResMed Germany Inc.
Schlafstörungen als Warnsignal

© shapecharge | iStock

Früherkennung Demenz

Schlafstörungen als Warnsignal

Anzeige | ResMed Germany Inc.
Grippeschutz in der Praxis – Jetzt reinhören!

© DG FotoStock / shutterstock

Update

Neue Podcast-Folgen

Grippeschutz in der Praxis – Jetzt reinhören!

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Herz mit aufgemalter Spritze neben Arm

© Ratana21 / shutterstock

Studie im Fokus

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Prävention durch Influenzaimpfung?

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Junge Frau spricht mit einer Freundin im Bus

© skynesher | E+ | Geytty Images

Update

Impflücken bei Chronikern

Chronisch krank? Grippeimpfung kann Leben retten

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

© Vink Fan / stock.adobe.com

Aktive schubförmige Multiple Sklerose

7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg

ADHS im Erwachsenenalter

Wechseljahre und ADHS: Einfluss hormoneller Veränderungen auf Symptomatik und Diagnose

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Iserlohn
Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

© Dr_Microbe / stock.adobe.com

Entwicklungen in der Therapie neuromuskulärer Erkrankungen

Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Neuer Verschlüsselungsalgorithmus in der TI

gematik verlängert Frist für Austausch der E-Arztausweise

Lesetipps
Mit einer eher seltenen Diagnose wurde ein Mann in die Notaufnahme eingeliefert. Die Ursache der Hypoglykämie kam erst durch einen Ultraschall ans Licht.

© Sameer / stock.adobe.com

Kasuistik

Hypoglykämie mit ungewöhnlicher Ursache

Die Glaskuppel zur Notfallreform: Zustimmung und Zweifel

© undrey / stock.adobe.com

Kolumne aus Berlin

Die Glaskuppel zur Notfallreform: Zustimmung und Zweifel