Tabletten-Mix im Alter

Polypharmazie ist nicht per se schädlich

Der Meinung, Polypharmazie sei schädlich, widerspricht eine britische Studie: Erst ab zehn Tabletten täglich stieg das Risiko einer ungeplanten Klinikeinweisung. Wer trotz zahlreicher Beschwerden kaum Medikamente schluckte, musste häufig ins Krankenhaus.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
4,6 Prozent der Studienteilnehmer nahmen täglich zehn oder mehr Präparate ein. Ein Medikamentenmix muss nicht zwangsläufig schaden.

4,6 Prozent der Studienteilnehmer nahmen täglich zehn oder mehr Präparate ein. Ein Medikamentenmix muss nicht zwangsläufig schaden.

© Tatjana Balzer/Fotolia.com

CAMBRIDGE. Ein Mix aus vielen Tabletten kann dem Patienten schaden; das ist eine bekannte Tatsache. Wer als Arzt mehrere Präparate gleichzeitig verschreibt, muss auf Nebenwirkungen und Interaktionen zwischen den verschiedenen Arzneien achten.

Zweifelsohne erhalten gerade ältere Menschen oft zu viele Medikamente, und der Hausarzt tut gut daran, den Inhalt der Pillendöschen regelmäßig zu überprüfen und diese bisweilen auch auszumisten. Dies zum Einen.

Zu beachten ist aber noch ein anderer Aspekt: So warnen Dr. Rupert A. Payne und Kollegen von der Universität Cambridge in der aktuellen Ausgabe des "British Journal of Clinical Pharmacology" vor einem Phänomen namens "Underprescribing" - der medikamentösen Unterversorgung, vor allem bei vielfach erkrankten Patienten (Br J Clin Pharmacol 2014, online 16. Januar).

In ihrer Studie mit 180.000 chronisch Kranken war eine Polypharmazie zwar eindeutig mit der Häufigkeit ungeplanter Klinikeinweisungen verknüpft.

Diese Wahrscheinlichkeit war bei Einnahme von vier bis sechs Medikamenten (gegenüber ein bis drei) um den Faktor 1,25 erhöht, ab zehn Medikamenten gar um den Faktor 3,42. Diese Verhältnisse gelten allerdings nur für Patienten mit nur einer Erkrankung.

Wer dagegen an besonders vielen Malaisen (sechs oder mehr) gleichzeitig litt und deswegen vier bis sechs unterschiedliche Pillen einnahm, hatte kein höheres Risiko, wegen eines akuten Zustands ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, als Vergleichspatienten, denen der Arzt nur ein bis drei Medikamente verschrieben hatte.

Auch Unterversorgung birgt Risiken

Selbst die Einnahme von zehn oder noch mehr verschiedenen Präparaten hatte nur ein eineinhalbfach erhöhtes Risiko einer akuten Einweisung zur Folge (gegenüber Patienten, die ein bis drei Medikamente parallel schluckten).

"Bei Patienten mit multiplen Erkrankungen", so die Interpretation der Autoren, "ist nur die extremste Form der Polypharmazie mit einem Anstieg ungeplanter Klinikeinweisungen assoziiert".

Die Tatsache, dass der kausale Zusammenhang der Einweisungen mit der Verschreibung von Medikamenten nicht belegt werden konnte, ist sicher ein Manko der Studie. Allerdings führten Sensitivitätsanalysen, in denen der Einfluss der Erkrankung selbst sowie des Patientenalters auf die Häufigkeit der Klinikeinweisung herausgerechnet wurde, zu ähnlichen Ergebnissen.

Das durchschnittliche Patientenalter in der Studie lag bei 49 Jahren. Unter den Teilnehmern hatten über 60 Prozent mindestens eine chronische Erkrankung, 23,7 Prozent drei oder mehr.

Ein Viertel erhielt ein bis drei Medikamente täglich, 11,0 Prozent vier bis sechs, 5,9 Prozent sieben bis neun und 4,6 Prozent zehn oder mehr Präparate. Insgesamt waren 6 Prozent der Teilnehmer notfallmäßig oder wegen eines akuten Zustands in die Klinik eingewiesen worden.

Der Vorwurf, jede Polypharmazie sei grundsätzlich riskant und mit schlechter Versorgungsqualität gleichzusetzen, so das Fazit von Payne und Kollegen, greife zu kurz. Nicht nur die Über-, sondern auch die Unterversorgung mit Medikamenten berge Risiken.

Deutsche Experten empfehlen ein rationales Herangehen an die Polypharmazie. Eine Hilfestellung bietet dabei zum Beispiel die PRISCUS-Liste (www.priscus.net), in der 83 Medikamente aus 13 Klassen enthalten sind.

Ihr Newsletter zum Thema
Lesen sie auch
Mehr zum Thema

Public Health Index 2025

Deutschland weist große Lücken im Gesundheitsschutz auf

Kooperation | In Kooperation mit: AOK Bundesverband
Das könnte Sie auch interessieren
Grippeschutz in der Praxis – Jetzt reinhören!

© DG FotoStock / shutterstock

Update

Neue Podcast-Folgen

Grippeschutz in der Praxis – Jetzt reinhören!

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Herz mit aufgemalter Spritze neben Arm

© Ratana21 / shutterstock

Studie im Fokus

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Prävention durch Influenzaimpfung?

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Junge Frau spricht mit einer Freundin im Bus

© skynesher | E+ | Geytty Images

Update

Impflücken bei Chronikern

Chronisch krank? Grippeimpfung kann Leben retten

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

© Aleksandr | colourbox.de

Fatal verkannt

Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

© polkadot - stock.adobe.com

Vitamin-B12-Mangel

Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
B12-Mangel durch PPI & Metformin

© Pixel-Shot - stock.adobe.com

Achtung Vitamin-Falle

B12-Mangel durch PPI & Metformin

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Kommentare
Dr. Andreas Rahn 22.01.201409:56 Uhr

Polypharmazie - im ALTER???

Wenn in einer Studie das durchschnittliche Patientenalter bei 49 Jahren liegt, kann man wohl kaum von einer typischen Alterspopulation sprechen - mithin ist doch sehr fraglich, inwieweit die Ergebnisse auf multimorbide, ältere Patienten (über 70 Jahre) übertragbar sind.

Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: FIB-4 1,3: numerische 26%ige Risikoreduktion der 3-Punkt-MACE durch Semaglutid 2,4mg

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [17]

Kardiovaskuläre, renale und hepatische Komorbiditäten

Therapie der Adipositas – mehr als Gewichtsabnahme

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novo Nordisk Pharma GmbH, Mainz
SCD-PROTECT-Studie-- Frühe Phase nach Diagnose einer Herzinsuffizienz – deutlich höheres Risiko für den plötzlichen Herztod als in der chronischen Phase.

© Zoll CMS

SCD-Schutz in früher HF-Phase

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: ZOLL CMS GmbH, Köln
Abb. 2: Schneller Wirkeintritt von Naldemedin im Vergleich zu Placebo in den Studien COMPOSE-1 und COMPOSE-2

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [15]

Opioidinduzierte Obstipation

Selektive Hemmung von Darm-Opioidrezeptoren mit PAMORA

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Viatris-Gruppe Deutschland (Mylan Germany GmbH), Bad Homburg v. d. Höhe
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Interview

Wie Ärzte in Stresssituationen richtig reagieren können

Lesetipps
Umrisse mehrere Menschen in bunten Farben.

© Pandagolik / stock.adobe.com

Krebs in Deutschland

Bei zwei Krebsarten nahm die Sterblichkeit am stärksten ab

Serotoninkristalle, die ein Muster ergeben.

© Michael W. Davidson / Science Photo Library

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an