Rheumatoide Arthritis quält Frauen im Alltag stärker als Männer

Frauen gehen emotional anders mit Erkrankungen um, so lautet ein gängiges Klischee. Bei der Rheumatoiden Arthritis (RA) zumindest ist das anders. Hier geht es Männern und Frauen emotional ähnlich. Die eigentlichen Unterschiede finden sich bei den Aktivitäten des täglichen Lebens.

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Etwa 0,8 Prozent der Bevölkerung sind nach Angaben der Deutschen Rheuma-Liga an Rheumatoider Arthritis erkrankt. Frauen sind dreimal so häufig betroffen wie Männer. Die meisten Betroffenen erkranken im Alter zwischen 50 und 60 Jahren; 15 Prozent sind jünger als 40 Jahre.

Etwa 0,8 Prozent der Bevölkerung sind an Rheumatoider Arthritis erkrankt. Frauen sind drei Mal so häufig betroffen wie Männer.

Etwa 0,8 Prozent der Bevölkerung sind an Rheumatoider Arthritis erkrankt. Frauen sind drei Mal so häufig betroffen wie Männer.

© Sebastian Kaulitzki / fotolia.com

Von Philipp Grätzel von Grätz

ROM. Untersuchungen, die sich mit emotionalen Aspekten der Krankheitsbewältigung bei RA-Patienten in Abhängigkeit vom Geschlecht befasst haben, gebe es bisher nur relativ wenige, sagte die Krankenschwester Heidi Zangi vom Diakonhjemmet Hospital in Oslo. Weil die Untersuchungen, die existieren, widersprüchliche Ergebnisse lieferten, geht Zangi davon aus, dass die emotionalen Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen RA-Patienten zumindest nicht sehr ausgeprägt sind.

"So scheint es beispielsweise nicht so zu sein, dass Frauen ihr RA-Leiden gegenüber Mitmenschen stärker verbalisieren", so Zangi bei der Jahrestagung der Europäischen Rheumaliga EULAR 2010 in Rom. Auch neigten weder Männer noch Frauen stärker zum "Katastrophisieren" ihrer Erkrankung: Eine Untersuchung, die sich speziell damit beschäftigt hatte, fand keinen Unterschied. Allenfalls hätten Männer nach einer Periode ausgeprägter Schmerzen einen etwas längeren "Hangover", seien also emotional angegriffener als Frauen. Dieser Unterschied sei aber nicht sehr ausgeprägt gewesen, so Zangi.

Viel augenscheinlichere Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es bei Patienten mit RA dagegen im funktionellen Bereich, also bei den Aktivitäten des täglichen Lebens. "Hier können wir sagen, dass Frauen deutlich mehr und deutlich ausgeprägtere Einschränkungen erleben", sagte Ingveld Kjeken, ebenfalls vom Diakonhjemmet Hospital. In diversen Studien hätten Frauen durchweg mehr Probleme beim Treppensteigen, kürzere Gehdistanzen und eine deutlich geringere Mobilität außerhalb der eigenen vier Wände gehabt.

Verläuft bei Frauen eine Arthritis aggressiver?

Warum ist das so? "Ein Grund könnte sein, dass die RA bei Frauen aggressiver verläuft als bei Männern", so Kjeken. "Es könnte aber auch sein, dass die Erkrankung bei Frauen später erkannt und schlechter therapiert wird." Hinweise, dass an dieser These etwas dran sein könnte, liefern Untersuchungen bei RA-Patienten, die als Folge ihrer Erkrankung eine Hüftprothese bekamen. "Zum Zeitpunkt der Entscheidung für eine Hüftprothese haben Frauen stärkere Schmerzen als Männer. Und ein Jahr nach der Operation ist das funktionelle Outcome schlechter, was daraufhin deutet, dass dieser Eingriff bei Frauen später empfohlen wird als bei Männern."

Einen anderen Grund dafür, dass Frauen mit einer RA funktionell stärker eingeschränkt sind als Männer, sieht Kjeken in der Physiologie: Männer hätten einfach mehr Kraft als Frauen, und damit auch mehr Reserven, wenn es zu einer RA kommt. So haben schwedische Ergotherapeuten in einer noch unveröffentlichten Arbeit die Kraft verglichen, die Männer und Frauen beim Greifen aufzubringen in der Lage sind. Grob gesagt entspricht demnach die durchschnittliche Griffstärke junger Frauen der von Männern im 75. Lebensjahr, so Kjeken.

Griffstärke ist wesentlicher Faktor für die Prognose

Das ist deswegen ein Problem, weil eine Verringerung der Griffstärke als einer der wichtigsten prognostischen Faktoren für funktionelle Einschränkung im Alltag bei Patienten mit früher RA gilt. Mit anderen Worten: Wenn Frauen eine RA bekommen, erreichen sie wesentlich schneller jene kritische Grenze, ab der funktionelle Einschränkungen im Alltag deutlich spürbar werden.

Kjeken und ihre Kollegen haben auch untersucht, welche sozialen Folgen die funktionellen Einschränkungen bei RA für männliche beziehungsweise weibliche Patienten haben. "Hier haben wir eine interessante Beobachtung gemacht: Die Erkrankung führt in den betroffenen Familien tendenziell dazu, dass traditionelle Rollenbilder verstärkt werden."

Soll heißen: Frauen mit RA geben schneller ihren Job auf und konzentrieren sich stattdessen auf Arbeiten im häuslichen Umfeld. Männer, die neu an einer RA erkranken, schränken hingegen eher häusliche Arbeiten ein, wenn sie merken, dass sie krankheitsbedingt kürzertreten müssen. Die zur Verfügung stehende Kraft wird vor allem für den Job aufgewandt.

www.eular.org

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