Epidemiologie

Schwer krank schon mit 40

Epidemiologische Studien belegen, dass es um das 40. Lebensjahr zu einem starken Anstieg der Multimorbidität kommt. Erst um das 70. Lebensjahr schwächt sich der Anstieg wieder ab.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:
Viele Tabletten und Kapseln, die tagtäglich eingenommen werden müssen: eine sichtbare Folge der Multimorbidität.

Viele Tabletten und Kapseln, die tagtäglich eingenommen werden müssen: eine sichtbare Folge der Multimorbidität.

© photo 5000 / fotolia.com

FRANKFURT/MAIN. In Hausarzt-Praxen sind multimorbide Kranke die Regel. Welche Behandlung im Einzelfall die beste ist, lässt sich im Spannungsfeld von Evidenz, Patientenwünschen und Versorgungssituation oft nur schwer beantworten.

Da Multimorbidität häufig mit höherem Lebensalter assoziiert wird, hat sich die Forschung zur Behandlung und Versorgung auf die Gruppe der Älteren fokussiert.

Das sollte sich ändern, so die Friedrich-Merz-Stiftungsgastprofessorin Marjan van den Akker von der Uni Maastricht.

Gleich zwei chronische Krankheiten

Dass Patienten mindestens zwei therapiebedürftige chronische Krankheiten haben, ist nicht selten: Die Prävalenz von Multimorbidität in der erwachsenen Bevölkerung Deutschlands werde auf 42 Prozent geschätzt, ähnlich wie in Großbritannien (45 Prozent), Australien (44 Prozent) oder Kanada (41 Prozent).

Diese Schätzungen beziehen sich nach Angaben von Martin Fortin, Professor für Allgemeinmedizin und hausärztliche Versorgung an der Sherbrooke University in Kanada, auf acht der häufigsten Krankheiten wie Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, Herzkrankheiten, Diabetes oder COPD. Würden mehr Krankheitskombinationen berücksichtigt, sei die Prävalenz höher.

Viele internationale epidemiologische Studien belegen nach den Worten von Fortin, dass es um das 40. Lebensjahr herum zu einem starken statistischen Anstieg der Multimorbidität kommt, erst um das 70. Lebensjahr schwächt sich der Anstieg wieder ab.

"Lebensstil- und Sozialfaktoren gehören zu den wichtigsten Gründen dafür, dass auch in den jüngeren Altersgruppen Multimorbidität häufig wird", sagte Fortin bei einem Symposium in Frankfurt am Main anlässlich der Friedrich-Merz-Stiftungsgastprofessur für Professor Marjan van den Akker.

"In der Hausarztpraxis haben wir häufig Patienten, die unter hohem psychischen Stress stehen", sagte Fortin.

"Wenn somatische und psychiatrische Erkrankungen im jüngeren Lebensalter parallel vorkommen, ist es besonders schwierig, die optimale Therapie für den einzelnen zu finden."

Ähnlicher Trend in vielen Ländern

Dass Multimorbidität schon um das 40. Lebensjahr zunimmt, bestätigen nach Angaben von Marjan van den Akker die Medikamentenverschreibungen: Beträgt deren Zahl pro Jahr in der Gruppe der 21-40 jährigen in den Niederlanden durchschnittlich 5,2, so verdoppelt sie sich in den folgenden beiden Lebensjahrzehnten auf 10,1.

"Der Trend ist in anderen westeuropäischen Ländern ähnlich", sagte van den Akker zur "Ärzte Zeitung". "Wir benötigen dringend mehr Forschung für die jüngere Altersgruppe, weil Fragen der Priorisierung von Erkrankungen, der Nutzen-Risiko-Bewertung von Therapien, gerade auch unter dem Aspekt möglicher Wechselwirkungen von Medikamenten, in Abhängigkeit von der Lebensphase zu beantworten sind. Vor allem bei jüngeren Patienten fehlen die Daten."

Hinter dem Wunsch nach einer Kontrolle der Symptome stehe bei jüngeren Patienten oft das Ziel, berufliche und familiäre Aufgaben bewältigen zu können. Dieses Ziel trete bei älteren in den Hintergrund.

Die Balance von medikamentösen zu nicht-medikamentösen Therapien verschiebe sich in niedrigeren Altersgruppen tendenziell eher hin zu weniger Arzneimitteln und mehr nicht-medikamentösen Therapieformen, zumal Arzneimittel oft als Erklärungen für Dysfunktionen dienten oder Persönlichkeitsveränderungen befürchtet würden, so van den Akker.

Dies gelte besonders auch für Krankheitskombinationen, bei denen psychotrope Substanzen verordnet würden, etwa Depression.

Dass die Prävalenz allein dieser psychischen Störung in den Altersgruppen unterschiedlich ist, belegen aktuelle Daten der bundesweiten Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) am Robert Koch-Institut in Berlin.

Eine repräsentative Stichprobe ergibt eine Prävalenz der Depression von 1,4 Prozent bei den 18-29jährigen, von 6,6 Prozent bei den 50-59jährigen und 3,4 Prozent bei den 60-69jährigen. Im höheren Alter sinkt die Prävalenz auf 1,9 Prozent.

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