Risikofaktor Rauchen

Tabak und Dreck in der Luft sind schlecht bei MS

Rauchen und schlechte Luft erhöhen offenbar nicht nur das MS-Risiko, auch der Therapieerfolg kann unter Tabakqualm leiden: So entwickeln Raucher vermehrt Antikörper gegen MS-Arzneien.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Rauchen steigert nicht nur das MS-Risiko, sondern beeinträchtigt offenbar auch den Therapieerfolg.

Rauchen steigert nicht nur das MS-Risiko, sondern beeinträchtigt offenbar auch den Therapieerfolg.

© Gina Sanders / fotolia.com

BOSTON. Rauchen zählt zu den vermeidbaren Risikofaktoren für eine MS: Starke Raucher haben ein etwa dreifach erhöhtes MS-Risiko, und auch intensives Passivrauchen geht mit einer um 30 bis 80% erhöhten MS-Gefahr einher. Dagegen zeigten Konsumenten von Kau- oder Schnupftabak in Studien keine erhöhte MS-Rate, hat Dr. Tomas Olsson vom Karolinska-Institut in Stockholm berichtet.

Auf dem weltgrößten MS-Kongress in Boston äußerte Olsson daher die Vermutung, dass weniger das Nikotin eine MS-Gefahr darstellt als vielmehr die Reizung der Lunge durch den Tabakqualm. Der Wissenschaftler erinnerte an Tierversuche, in denen Mäuse eine MS-ähnliche Erkrankung entwickelten, nachdem ihnen autoreaktive T-Zellen injiziert wurden und sie anschließend Schadstoffe über die Lunge einatmeten.

T-Zellen mit "Lizenz für die Reise ins Gehirn"

Offenbar, so Olsson, bekommen solche reaktiven T-Zellen in der Lunge "die Lizenz für die Reise ins Gehirn". Luftschadstoffe wie Tabakqualm führten zu einer chronischen Entzündung in der Lunge und damit wohl auch zu einer T-Zell-Aktivierung. Durch Kreuzreaktionen mit ZNS-Antigenen könnte dann möglicherweise eine MS getriggert werden.

Doch offenbar ist Rauchen auch bei einer bereits bestehenden MS recht ungünstig: Raucher entwickeln mehr Kontrastmittel-aufnehmende Läsionen, eine ausgeprägtere Gehirnatrophie und schneller Behinderungen als Nichtraucher.

Schließlich scheint bei Rauchern auch häufiger die Therapie fehlzuschlagen, weil sie neutralisierende Antikörper gegen Biologika entwickeln. Auch hier vermutet Olsson, dass Reaktionen zwischen aktivierten T-Zellen in der Lunge und dort zirkulierenden Therapeutika von Bedeutung sind.

Hohes Risiko für neutralisierende Antikörper bei Rauchern

In einer eigenen Untersuchung hat das Team um den Forscher nun geschaut, ob es einen Zusammenhang zwischen Tabakkonsum und der Bildung neutralisierender Antikörper gegen Natalizumab gibt. Dazu konnten Olsson und Mitarbeiter auf Daten eines schwedischen MS-Registers zurückgreifen.

Sie fanden dort insgesamt 1338 Personen mit einer Natalizumab-Therapie, bei denen der Antikörper-Status regelmäßig überprüft worden war. Insgesamt 4,8% entwickelten neutralisierende Antikörper gegen das Therapeutikum, in der Regel bereits in den ersten sechs Therapiemonaten. Im Vergleich zu Nichtrauchen lag diese Rate bei Rauchern dreifach höher.

Bei Ex-Rauchern, die schon länger als zwei Jahre nicht mehr qualmten, fanden die Forscher jedoch keine erhöhte Prävalenz von neutralisierenden Antikörpern - die Gefahr scheint also vor allem bei aktuellen Rauchern zu bestehen. Von einem ähnlichen Risiko sei auch bei einer Therapie mit anderen Biologika auszugehen - neutralisierende Antikörper werden ebenfalls unter Interferonen beobachtet.

Starke Luftverschmutzung, hohe MS-Inzidenz

Eine chronische Reizung der Lunge ist jedoch nicht nur ein Problem bei Rauchern, eine starke Luftverschmutzung kann dem Organ ebenfalls zusetzen - mit ähnlichen Konsequenzen wie der Tabakqualm, vermuten iranische Wissenschaftler (Eur Neurol 2013; 70:356-363).

Die Forscher um Dr. Pouria Heydarpour von der Universität in Teheran mussten für diese Erkenntnis nicht weit reisen - sie korrelierten einfach die MS-Inzidenz in der Multi-Millionen-Stadt mit der allgegenwärtigen Luftverschmutzung.

 In der Region Teheran leben zwischen 15 und 20 Millionen Menschen, die Feinstaubbelastung erreicht immer wieder apokalyptische Werte, jedoch ist der Dreck in der Luft sehr ungleich verteilt: Im Norden sorgt oft ein frischer Wind von den Bergen für etwas Erleichterung, im Süden hingegen liegen die Durchschnittswerte für die lungengängigen Kleinpartikel (PM10-Wert) in manchen Stadtteilen bei knapp 200 Mikrogram pro Kubikmeter.

Zum Vergleich: In Berlin sind es weniger als 30 Mikrogramm. Wie sich zeigte, konzentrierten sich die MS-Fälle vor allem auf die Regionen mit dreckiger Luft - je höher die Belastung mit Feinstaub, Schwefel- und Stickoxiden, umso höher ist offenbar die MS-Inzidenz.

Niedriger Vitamin-D-Spiegel als Erklärung

Eine mögliche Erklärung dafür wären auch niedrigere Vitamin-D-Spiegel: Ist die Luft besonders schmutzig, wird die UV-Strahlung stark reduziert. Diesen Effekt konnte das Team um Heydarpour aber weitgehend ausschließen - die Vitamin-D-Spiegel bei den MS-Kranken korrelierten nicht mit der Luftqualität, haben die Forscher auf dem Kongress in Boston berichtet.

Ähnlich wie Tabakqualm könnte die Luftverschmutzung nicht nur die Inzidenz, sondern auch den Verlauf einer MS beschleunigen: Finnische Forscher fanden eine besonders hohe Schubinzidenz bei Patienten kurz nach einer hohen Feinstaubbelastung.

MS-Kranken mag man daher empfehlen, nicht nur das Rauchen aufzugeben, sondern sich besser auch einen Wohnort mit viel frischer Luft zu suchen.

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