KOMMENTAR

Tschernobyl läßt sich nicht in Zahlen fassen

Von Thomas Müller Veröffentlicht:

Pünktlich zum 20sten Jahrestag der Reaktorhavarie von Tschernobyl hat eine makabere Diskussion um die Zahl der Strahlentoten eingesetzt - eine Diskussion, die nur eine Schlußfolgerung erlaubt: Das Ausmaß der Katastrophe wird sich nie in Zahlen fassen lassen.

Zu unterschiedlich sind die Beweggründe derjenigen, die jetzt Hochrechnungen über die Zahl der Opfer bekanntgeben, zu wenig hat man in der Vergangenheit getan, um die Auswirkungen auf die am stärksten betroffenenen Menschen zu prüfen.

So wundert es kaum, wenn die Internationale Atomenergiebehörde Zahlen vorlegt, nach denen "nur" mit 4000 Toten zu rechnen ist. Die Botschaft ist klar: Das war doch nur halb so schlimm! Daß man sich bei dieser Rechnung zum Teil auf zweifelhafte offizielle russische Zahlen beruft, bleibt unerwähnt.

Dabei ist bekannt, daß die radioaktive Belastung der etwa 800 000 Menschen, die das Feuer im Reaktor löschen mußten, in offiziellen Dokumenten schamlos manipuliert wurde, daß viele gar nicht mit Dosimeter ausgestattet waren, und daß Strahlenschäden nicht anerkannt wurden, die nicht unmittelbar nach dem Einsatz auftraten - Langzeitfolgen wie Krebs wurden so per Dekret des Kremels praktisch ausgeschlossen.

Ob die Zahlen von Organisationen wie Greenpeace realistischer sind, läßt sich nur schwer beurteilen. Die oft genannten 100 000 Krebstoten beruhen auf epidemiologischen Studien. Da Vergleichszahlen aus der Zeit vor Tschernobyl oft fehlen, ist die Aussagekraft der Studien begrenzt.

Um Tschernobyl und seine Folgen zu begreifen, bleibt meist nur der Blick auf die vielen Einzelschicksale. Und die sollte sich genau anschauen, wer von einer Renaissance der Atomenergie träumt.

Lesen Sie dazu auch: "Tschernobyl ist heute noch eine Katastrophe, eine stille Katastrophe" Der Reaktor ging erst im Dezember 2000 vom Netz

Schlagworte:
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

„ÄrzteTag“-Podcast

Wie können Ärztinnen und Ärzte unter Druck die richtigen Entscheidungen treffen, Dr. Burda?

Deutsche Herzstiftung

Herzbericht 2025: Impfen schützt das Herz!

Lesetipps
Schild eines Hautarztes mit den Öffnungszeiten.

© Dr. Hans Schulz, Bergkamen

Dermatologische Komplikationen

Was tun, wenn beim Diabetes die Haut Ärger macht?

Eine Krankenpfleger analysiert das gerade aufgenommene Röntgenbild eines älteren Patienten auf einem Computermonitor.

© izusek / Getty Images / iStock

Unterschiedliche DXA-Scores wichtig

Osteoporose bei Männern: Tipps zur Diagnostik und Therapie

Äpfel und eine Flasche Apfelessig

© Sea Wave / stock.adobe.com

Kasuistik

Apfelessig-Diät verursachte Leberschädigung