Nachruf

„Viren-Jäger“ und Vater der HPV-Impfung Harald zur Hausen ist tot

Er war bekannt für kühne Hypothesen, die er entgegen allen Unkenrufen zu beweisen versuchte. Im Fall von HPV gelang ihm das – was ihm sogar den Medizin-Nobelpreis einbrachte. Harald zur Hausen war ein unermüdliche Kämpfer gegen den Krebs.

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Der Medizin-Nobelpreisträger Harald zur Hausen sitzt am 10.06.2016 in Heidelberg (Baden-Württemberg) im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in seinem Büro.

Harald zur Hausen im Jahr 2016 im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).

© Uwe Anspach / dpa

Heidelberg. Der Kampf gegen den Krebs ließ ihn nie los. Sein Hauptinteresse galt dabei der Rolle von Viren bei der Tumorentstehung. Der Medizin-Nobelpreisträger Professor Harald zur Hausen ist am Sonntag im Alter von 87 Jahren gestorben, wie das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg am Montag mitteilte.

Mit ihm geht der Wegbereiter der Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV), die das Risiko für Zervixkarzinome reduziert. Für die nötige Grundlagenforschung erhielt der Virologe 2008 den Medizin-Nobelpreis. Die Großmutter des gebürtigen Gelsenkircheners war an Gebärmutterhalskrebs gestorben.

„Ohne Übertreibung kann man sagen, dass Harald zur Hausen damit eine ganz neue Dimension der Krebsprävention eröffnet hat“, sagte Professor Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender und Wissenschaftlicher Vorstand des DKFZ.

Spürsinn und Beharrlichkeit

„Mit den Papillomviren – da habe ich Glück gehabt“, sagte zur Hausen einmal. Anfang der 1980er Jahre hatte er die damals außergewöhnliche Theorie aufgestellt, dass die Papillomviren Gebärmutterhalskrebs auslösten. „Anfangs war die Skepsis außerordentlich groß“, beschrieb zur Hausen später die Zurückhaltung seiner Kollegen. Damals hielt man Herpesviren für die Verursacher von Gebärmutterhalskrebs. Doch der unter Kollegen für wissenschaftlichen Spürsinn und Beharrlichkeit bekannte Forscher widersprach der vorherrschenden Lehrmeinung.

Schließlich konnte er zwei Virustypen isolieren, die heute als die beiden wichtigsten Hochrisikotypen bei der Entstehung dieser Krebsart gelten. Immer wieder warb er öffentlich für die Impfung, insbesondere auch der von Jungen als Überträger.

Pro Jahr erkranken in Deutschland laut RKI über 4000 Frauen neu an Gebärmutterhalskrebs, rund 1600 sterben. Derzeit wird die Schutzimpfung von der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Instituts (RKI) für alle Mädchen und Jungen von 9 bis 14 Jahren empfohlen. Versäumte Impfungen können bis zum Alter von 17 Jahren nachgeholt werden.

Unabhängig von Dogmen

Zur Hausens Unbeugsamkeit – andere nannten es westfälische Sturheit – wird auch in der Laudatio deutlich, die 2009 der damalige Bundespräsident Horst Köhler bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Forscher hielt: „Beharrlich sind Sie Ihren Weg gegangen, haben sich unabhängig gemacht von wissenschaftlichen Dogmen und von außerwissenschaftlichen Interessen.“

Jungen Wissenschaftlern gab zur Hausen folgenden Rat mit auf den Weg: „Im Grunde muss man davon ausgehen, dass sich die meisten Hypothesen, die man aufstellt und an denen man lange feilt und arbeitet, als falsch erweisen. Man muss sie dann korrigieren – und weiterarbeiten.“ Eine gewisse Frustrationsbereitschaft müsse man schon mitbringen, in der Wissenschaft vielleicht noch mehr als in anderen Gebieten.

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Zuletzt untersuchte er, ob Erreger in Milch und Fleisch bestimmter Rinderarten zu Brust- und Darmkrebs führen können. Seine These untermauerte er unter anderem mit dem Hinweis auf die weltweiten Verteilungsmuster dieser Krebsarten. In Indien zum Beispiel – wo Kühe vielen als heilig gelten und kaum gegessen werden – erkranken demnach vergleichsweise wenige Menschen an Dickdarmkrebs. In Regionen wie Nordamerika, Argentinien, Europa und Australien, wo viel Rindfleisch auf den Tisch kommt, liegen die Darmkrebsraten weitaus höher.

Der Theorie nach können ringförmige Erbgutelemente (BMMF), die schon Kinder mit Milch und Rindfleisch aufnähmen, Darmkrebs fördern. Zudem wurden die BMMF in der Umgebung bösartiger Darmtumore deutlich häufiger nachgewiesen als im Darmgewebe krebsfreier Menschen.

Erste Institutsleitung an Uni Erlangen-Nürnberg

Zur Hausen wurde am 11. März 1936 geboren und studierte Medizin an den Universitäten in Bonn, Hamburg und Düsseldorf. Nach seiner Promotion 1960 arbeitete er unter anderem am Institut für Hygiene und Mikrobiologie in Düsseldorf und am Children's Hospital in Philadelphia.

1969 habilitierte zur Hausen im Fach Virologie, drei Jahre später übernahm er die Leitung des Instituts für Klinische Virologie der Universität Erlangen-Nürnberg. In gleicher Funktion wurde er 1977 auf den Lehrstuhl für Virologie und Hygiene an der Universität Freiburg berufen.

Von 1983 an leitete zur Hausen das DKFZ, das er zu einem der weltweit führenden Krebsforschungsinstitute ausbaute. Heute arbeiten dort circa 3.200 Menschen, darunter etwa 1.400 Wissenschaftler.

Ehrenbürger und Tier-Fotograf

Er stärkte die Kooperation zwischen DKFZ und Klinischen Einrichtungen, um die Forschungsergebnisse schneller auf den Patienten zu übertragen. Richtungsweisend wurde auch die besondere Förderung der Tumorvirologie. 2003 wurde zur Hausen emeritiert. Bis ins hohe Alter war der Nobelpreisträger häufig im Labor im DKFZ anzutreffen.

Zur Hausen hatte mit seiner ersten Frau drei Söhne. 1993 heiratete er die Krebsforscherin Ethel-Michele de Villiers. Sie lebten lange Zeit gemeinsam in Wald-Michelbach im Odenwald (Hessen), dessen Ehrenbürger er ist. In seiner Freizeit gärtnerte er oder fotografierte Tiere in Südafrika, dem Heimatland seiner Frau. (dpa)

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