Lungenkrankheit
Das neue Coronavirus breitet sich weiter aus
Das neuartige Coronavirus überschreitet immer mehr Grenzen. Um eine weitere Ausbreitung zu verhindern, schottet China mehrere Städte ab. Deutsche Infektiologen halten es für wahrscheinlich, dass das Virus nach Deutschland gelangt. Die WHO entscheidet sich erneut dagegen, einen Gesundheitsnotstand auszurufen.
Veröffentlicht:Genf. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht aktuell keine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ im Zusammenhang mit dem sich ausbreitenden neuartigen Coronavirus (2019-nCoV).
Notfallausschuss: Mitglieder uneins
„Gesundheitliche Notlage“
Mit einer offiziellen „Notlage“ wären weitere konkrete Empfehlungen an Staaten verbunden gewesen, um die Ausbreitung über Grenzen hinweg möglichst einzudämmen. Zu solchen Empfehlungen kann beispielsweise gehören, dass Reisende auf Krankheitssymptome geprüft werden, und dass medizinisches Personal besser geschützt wird.
Der Notfallausschuss, der die WHO berät, sah am Mittwoch und am Donnerstag keinen Anlass, den Gesundheitsnotstand auszurufen. Das Gremium aus 16 Mitgliedern war in seiner Meinung aber geteilt, weshalb die Experten insgesamt zwei Mal tagten.
„Die Situation ist komplex und in ständiger Entwicklung“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Der Notfall-Ausschuss empfahl, den Informationsaustausch unter den Staaten weiter zu verbessern, wie der Vorsitzende Didier Houssin sagte.
Mehr als 600 Infizierte
Weil immer mehr Menschen mit Grippesymptomen auf das neue Virus getestet werden, steigt die Zahl der bestätigten Fälle (siehe nachfolgende Grafik).
Nach aktuellem Stand (23. Januar, 17:40 Uhr) wurde der Erreger 2019-nCoV bei 650 Menschen nachgewiesen. Wie Medien berichten, sind 17 infizierte Menschen gestorben, fünf davon hatten den Angaben zufolge Vorerkrankungen.
Auch außerhalb Chinas wurden weitere Erkrankungsfälle gemeldet – etwa erstmals in Vietnam, Saudi-Arabien und Singapur (siehe nachfolgende Karte).
Das Gesundheitsministerium von Singapur bestätigte am Donnerstag, dass ein 66 Jahre alter Mann aus dem chinesischen Wuhan nachweislich mit dem neuartigen Coronavirus infiziert ist. Der Mann sei am Montag mit seiner Familie in Singapur angekommen und befinde sich derzeit in einem Isolationszimmer eines örtlichen Krankenhauses. Sein Zustand sei stabil, teilte das Ministerium weiter mit.
Berechnungen: 4000 Menschen erkrankt?
Eine weitaus höhere Zahl an Infizierten vermuten Experten des Imperial College London. Sie gehen davon aus, dass bis zum 18. Januar bei etwa 4000 Menschen in der chinesischen Stadt Wuhan Symptome aufgetreten sind.
Das geht aus einem Bericht des Zentrums für die Analyse globaler Infektionskrankheiten hervor, der am Mittwoch veröffentlicht wurde.
Die Schätzung der britischen Experten geht auf ein Rechenmodell zurück, in dem die im Ausland festgestellten Infektionen mit der Zahl der Flugreisenden, der Bevölkerung und der angenommenen Inkubationszeit verknüpft wurden. Es sei wahrscheinlich, dass die Zahl der tatsächlich Infizierten deutlich höher ist als die Zahl der nachgewiesenen Fälle.
Mit der Ausweitung der Tests und der Beobachtung des Geschehens sei zu hoffen, dass die Unterschiede zwischen den geschätzten und den nachgewiesenen Fallzahlen schrumpfen.
Größere Gefahr durch mutierendes Virus?
Die Nationale Gesundheitskommission Chinas befürchtet, dass der neue Erreger sogar noch gefährlicher wird.
„Wir haben Beweise, dass sich die Krankheit über die Atemwege verbreitet, und es besteht die Möglichkeit, dass das Virus mutiert und zu einem größeren Risiko wird“, sagte der Vizechef der Kommission, Li Bin, am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Peking.
Die Sorge, dass das Coronavirus gefährlicher wird, teilt Professor Christian Drosten nicht. Der Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité sagte in den „Tagesthemen“: „Wir wissen inzwischen, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragbar ist. In einem solchen Fall kommt es immer zu Mutationen – das heißt aber nicht immer, dass die Krankheit schwerer wird.“
Mehrere Städte abgeriegelt
Durch die nun eingesetzte Reisewelle besteht die Gefahr, dass sich das neue Coronavirus weiter ausbreitet. Vor dem chinesischen Neujahrsfest am Samstag (25. Januar) machen sich geschätzte rund 400 Millionen Chinesen auf den Weg in ihre Heimatprovinzen.
Um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern, hat die chinesische Großstadt Wuhan, in der das Virus ursprünglich ausgebrochen war, die Schotten dichtgemacht.
In der 11-Millionen-Metropole wurden am Donnerstagmorgen Flüge, Züge, Fähren, Fernbusse und der öffentliche Nahverkehr gestoppt, die Ausfallstraßen wurden nach und nach gesperrt. Zudem sollen die Menschen in der Öffentlichkeit Schutzmasken tragen – bei Nichteinhaltung drohen Strafen.
Beschränkungen für rund 20 Millionen Menschen
Stunden später folgten Beschränkungen für weitere Großstädte: In der 75 Kilometer östlich gelegenen 7-Millionen-Stadt Huanggang sollte der öffentliche Verkehr von Mitternacht an gestoppt werden, Menschen sollen die Stadt nicht mehr verlassen, wie die Stadtregierung mitteilte. Ähnliche Restriktionen gelten für die benachbarte Stadt Ezhou mit einer Million und für die Stadt Chibi mit einer halben Million Einwohnern.
Auch in Xiantao mit mehr als einer Million Einwohner ist der öffentliche Verkehr mit Bussen, Fähren und Bahnen in andere Orte ausgesetzt worden. Alle Städte liegen in der Provinz Hubei.
Zusammen mit den Bewohnern der bereits abgeriegelten Metropole Wuhan gelten die Beschränkungen damit für rund 20 Millionen Menschen. Die Abschottung ist eine beispiellose Maßnahme. „Das ist einmalig in der neueren Geschichte“, sagte Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM). Auch der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist nach Angaben eines Sprechers kein vergleichbarer Fall bekannt.
Deutsche Infektiologen: Einschleppung „wahrscheinlich“
In Europa gab es nach aktuellem Stand (23. Januar, 17:40 Uhr) keine nachgewiesenen Fälle. Für die Menschen in Deutschland besteht nach Einschätzung der Bundesregierung ein „sehr geringes“ Gesundheitsrisiko. Es gebe keinen Grund, jetzt in Alarmismus zu verfallen, sagte ein Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
Deutsche Infektiologen halten es hingegen für „wahrscheinlich“, dass das neue Coronavirus auch nach Deutschland gelangt. Grund zur Besorgnis gebe es aber nicht, teilte die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie am Donnerstag mit. Kliniken bereiteten sich aktuell vor, um auf diese Fälle schnell reagieren zu können.
Wichtig sei jetzt vor allem, Ärzte und medizinisches Personal in Kliniken und Praxen zu sensibilisieren, um Verdachtsfälle schnell zu finden, hieß es. Mit der richtigen Behandlung könne sichergestellt werden, dass Mitpatienten und Klinikpersonal nicht gefährdet werden und die Infektion nicht weiterverbreitet wird.
Auch das Robert Koch-Institut (RKI) gibt im Internet an, dass mit „einem Import einzelner Fälle nach Deutschland“ gerechnet werden müsse. Das Risiko für die Bevölkerung hierzulande werde „zurzeit als gering eingeschätzt“ (Stand 23. Januar).
Die EU-Präventionsbehörde ECDC sprach von einem moderaten Risiko, dass der Erreger in die Europäische Union eingeschleppt wird. Noch sei unklar, wie schwerwiegend und wie tödlich die Krankheit sei, sagte ECDC-Direktorin Dr. Andrea Ammon. „Mehr epidemiologische Daten sind dringend erforderlich, um ein besseres Verständnis des Virus zu gewinnen.“ (ths/dpa)