Kommentar des Experten

Widersprüchliche Risikodaten zu Inkretin-basierten Medikamenten

Über Pankreas-Erkrankungen als mögliche Folge Inkretin-basierter Therapien wird diskutiert. Es ist aber nicht nötig, jetzt die Verordnungspraxis zu ändern.

Von Prof. Hellmut Mehnert Veröffentlicht:

Professor Hellmut Mehnert

Arbeits­schwerpunkte: Diabetologie, Ernährungs- und Stoffwechselleiden. Diesen Themen widmet sich Prof. Hellmut Mehnert seit über 50 Jahren.

Erfahrungen: 1967 hat er die weltweit größte Diabetes-Früherfassungsaktion gemacht sowie das erste und größte Schulungszentrum für Diabetiker in Deutschland gegründet.

Ehrung: Er ist Träger der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Ärzteschaft.

Bei der Sicherheit Inkretin-basierter Substanzen (GLP-1-Analoga, DPP-4-Hemmer) hat es in den vergangenen fünf Jahren keine Auffälligkeiten gegeben. Eine Arbeit von US-Forschern um Dr. Michael Elashoff aus der Gruppe von Dr. Peter C. Butler von der Medizinischen Hochschule der University of California in Los Angeles in der Zeitschrift "Gastroenterology" (online 21. Februar) sorgt daher für Aufsehen.

Dort wird über ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Pankreatitis und Pankreaskarzinom bei Verwendung des GLP-1-Analogons Exenatide oder des DPP-4-Hemmers Sitagliptin berichtet. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hat darauf sofort mit zwei Stellungnahmen reagiert. Bis weitere Daten aus kontrollierten Interventionsstudien vorliegen, sind keine Änderungen im Verordnungsverhalten erforderlich, betont die DDG.

Die Elashoff-Studie stützt sich auf Daten aus der Nebenwirkungsdatenbank der US-Arzneimittelbehörde FDA. Danach soll bei Therapie mit den beiden Medikamenten im Vergleich zu anderen Therapien die Wahrscheinlichkeit einer Pankreatitis um ein Mehrfaches erhöht sein, ebenso die Wahrscheinlichkeit eines Pankreaskarzinoms oder auch anderer Krebsarten wie Schilddrüsenkrebs.

Die DDG betont, dass die Nebenwirkungsdatenbank der FDA nur gemeldete Verdachtsfälle zu möglichen arzneimittelbedingten Nebenwirkungen enthält, und somit keine vollständigen Daten vorliegen. Zu Recht wird gefordert, dass andere Datenbanken, in denen Daten zu behandelten Patienten über einen längeren Zeitraum gesammelt wurden, auf die geschilderten Nebenwirkungen überprüft werden.

Dazu gehören insbesondere auch die Daten der Hersteller. Die DDG merkt dazu an: "An die FDA werden vor allem Nebenwirkungen neuer Medikamente gemeldet.

Aus diesem Grund ist es möglich, dass bei der Auswertung der FDA-Daten in der Publikation von Elashoff der Effekt eines ‚Over-Reportings‘ für die neuen Substanzen Exenatide und Sitagliptin nicht ausreichend berücksichtigt werden konnte, da die Auftretenswahrscheinlichkeiten dieser sehr ernst zu nehmenden Nebenwirkungen nicht mit denen einer anderen Datenbank verglichen wurden."

Zudem seien nur Daten einer Subgruppe von Patienten ausgewertet worden, in denen Einflüsse einer Komedikation mit Metformin ausgeschlossen waren, berichtet die DDG weiter.

Ein anderes Medikament der Kontrollgruppe (Pioglitazon) mit erhöhter Rate solcher Krankheitsereignisse sei zudem willkürlich ausgeschlossen worden. "Auch andere Risikofaktoren für die Pankreatitiden und Pankreaskarzinome wurden nicht ausreichend berücksichtigt", so die DDG.

Die Gesellschaft verweist auf neue Informationen, die die Elashoff-Ergebnisse infrage stellen und einen "Reporting Bias" als möglich erscheinen lassen. So zitiert die DDG sechs andere Studien (!), in denen es keine Zusammenhänge zwischen Inkretin- basierter Therapie und Krebsentstehung gab.

Auch der von der FDA bei der Analyse von Daten genutzte Algorithmus (EMPIRICA) habe bei den Inkretin-basierten Therapien zu keinem Warnhinweis geführt.

Was ergibt sich daraus für Ärzte?

  • Der Einsatz Inkretin-basierter Arzneimittel ist bis zur endgültigen Klärung der Situation weiter statthaft, und ein Absetzen einer erfolgreichen Therapie mit diesen Substanzen ist derzeit nicht notwendig.
  • Patientensicherheit ist oberstes Gebot. Es müssen daher weitere Studiendaten zu den Substanzen überprüft und Ärzten baldmöglichst zugänglich gemacht werden.
  • Es ist bemerkenswert, dass die Elashoff-Studie offenbar Daten nicht berücksichtigt, die einem vermeintlichen Risiko Inkretin-basierter Therapien widersprechen.
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