Ionenkanal-Protein

Wie Sehnen steifer und stärker werden

Forscher haben die zellulären Mechanismen entschlüsselt, dank denen sich Sehnen mechanischen Belastungen anpassen können. Menschen, die eine bestimmte Variante eines Schlüsselgens dieses Mechanismus tragen, können besser springen als andere.

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Großer Erfolg beim Weitsprung: Hängt das mit der Genvariante E756del zusammen? Darauf gibt es jetzt Hinweise.

Großer Erfolg beim Weitsprung: Hängt das mit der Genvariante E756del zusammen? Darauf gibt es jetzt Hinweise.

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Zürich. Sehnen verbinden ja die Muskeln mit den Knochen und sind verhältnismäßig dünn, müssen aber gewaltige Kräfte aushalten, erinnert die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich).

Sind die Sehnen leicht elastisch, können sie hohe Belastungen wie zum Beispiel einen Stoß aufnehmen ohne dabei zu reißen. In Sprint- und Sprung-betonten Sportarten sind allerdings steife Sehnen ein Vorteil, denn sie übertragen die in den Muskeln entfalteten Kräfte direkter auf die Knochen, heißt es in der Mitteilung.

Molekularer Kraftsensor in den Zellen

Forscher der ETH Zürich und der Universitätsklinik Balgrist in Zürich haben nun entschlüsselt, wie die Zellen der Sehnen mechanische Belastungen wahrnehmen und die Sehnen an die Anforderungen des Körpers anpassen können (Nature Biomedical Engineering 2021; online 24. Mai). Kern des neuentdeckten Mechanismus ist ein molekularer Kraftsensor in den Zellen der Sehnen, ein sogenanntes Ionenkanal-Protein.

Dieses erkennt, wenn sich die Kollagenfasern, aus denen die Sehnen bestehen, gegeneinander in Längsrichtung verschieben. Kommt es zu einer starken Scherbewegung, lässt der Sensor Kalziumionen ins Innere der Sehnenzellen strömen. Dies fördert die Produktion bestimmter Enzyme, welche die Kollagenfasern miteinander verbinden. Die Sehnen verlieren dadurch an Elastizität, sie werden steifer und stärker.

Genvariante mit überschießender Reaktion

Interessanterweise kommt das dafür verantwortliche Ionenkanal-Protein bei Menschen in verschiedenen genetischen Varianten vor. So haben andere Wissenschaftler der Mitteilung zufolge vor wenigen Jahren festgestellt, dass eine bestimmte Genvariante mit dem Namen E756del bei Personen mit westafrikanischer Abstammung gehäuft vorkommt. Damals war die Bedeutung dieses Proteins für die Sehnensteifigkeit noch nicht bekannt.

Ein Drittel der Personen mit afrikanischer Abstammung trägt demnach diese Genvariante, während sie in anderen Bevölkerungsgruppen nur selten ist. Diese Genvariante schützt ihre Träger auch vor schweren Verläufen der Tropenkrankheit Malaria. Die Wissenschaft geht davon aus, dass sich die Variante wegen dieses Vorteils in dieser Bevölkerungsgruppe durchsetzen konnte.

Die Forscher unter der Leitung von Professor Jess Snedeker, ETH Zürich und Universität Zürich, haben nun entdeckt, dass Mäuse mit dieser Genvariante steifere Sehnen haben. Sie halten es für wahrscheinlich, dass diese Genvariation dazu führt, dass die Anpassungsreaktion der Sehnen auf Training „überschießt“.

Untersuchung von 65 Studienteilnehmern

Dies wirkt sich auch direkt auf die Sprungkraft bei Menschen aus, wie die Wissenschaftler in Untersuchungen mit 65 freiwilligen afroamerikanischen Studienteilnehmern belegten. Von den Teilnehmern trugen 22 die Variante E756del, bei den restlichen 43 kam diese Variante nicht vor.

Weil die Sprungkraft einer Person von sehr vielen Faktoren abhängt, unter anderem von Körperbau, Training und allgemeiner Fitness, verglichen die Forscher die Leistung der Probanden während eines langsamen und eines schnellen Sprungs. Sehnen spielen während langsamen Sprüngen nur eine kleine Rolle, sind aber bei schnellen Sprüngen besonders wichtig. Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler den Einfluss der Genvariante auf die Sprungleistung untersuchen.

Mit Variante E756del bessere Sprungleistung

Dabei zeigte sich, dass Träger der Variante E756del im Schnitt 13 Prozent besser abschnitten. „Es ist faszinierend, dass eine Genvariante, die sich aufgrund einer Anti-Malaria-Wirkung herausgebildet hat, gleichzeitig mit besseren sportlichen Fähigkeiten verbunden ist. Das hatten wir zu Beginn des Projekts nicht erwartet“, wird Erstautor Fabian Passini in der Mitteilung zitiert.

So könne es sein, dass diese Genvariante teilweise erklärt, warum Athleten mit Abstammung aus Ländern, wo E756del sehr häufig ist, bei sportlichen Wettkämpfen sehr gut abschneiden, etwa im Sprint, im Weitsprung oder beim Basketball. Bis jetzt gibt es noch keine wissenschaftliche Untersuchung, ob diese Genvariante unter Spitzenathleten gehäuft vorkommt.

Dass nun der Kraftsensor und der Mechanismus bekannt sind, mit dem sich Sehnen an körperliche Anforderungen anpassen können, ist auch für die Physiotherapie wichtig. „Wir verstehen nun besser, wie Sehnen funktionieren. Das dürfte auch helfen, Sehnenverletzungen in Zukunft besser therapieren zu können“, fügt Studienleiter Snedeker hinzu. Mittelfristig sei außerdem die Entwicklung von Medikamenten denkbar, welche an den entdeckten Kraftsensor andockten. Solche könnten helfen, Sehnen- und andere Bindegewebserkrankungen zu heilen. (eb/ikr)

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