"Orthopädie - ein Wort aus zwey Wörtern"

Seine berufliche Laufbahn begann er zunächst als Geistlicher: Vor 350 Jahren wurde Nicolas Andry, der Schöpfer des Begriffs Orthopädie, geboren.

Von Klaus Brath Veröffentlicht:

Gekrümmter Baum, der mit Seil an einem Holzstamm aufgerichtet wird (links), "in welcher Leibesstellung junge Mägdchen (nicht) nähen": Illustrationen aus Nicolas Andrys Klassiker "Orthopädie", das 1744 in deutscher Erstübersetzung vorgelegen hat. Reproduktion aus Andry: "Orthopädie"

Der Name des Pariser Arztes Nicolas Andry (1658-1742) ist mit der Geschichte der Orthopädie untrennbar verbunden. Andry prägte nicht nur den Begriff, sondern auch das internationale Emblem der Fachdisziplin. 2008 jährt sich die Geburt des in Lyon geborenen Arztes zum 350. Mal.

Wörtlich hatte Andry 1741, ein Jahr vor seinem Tod, den Titel "Orthopädie" seines Werkes so begründet: "Was den gedachten Titel anbelanget, so habe ich ihn aus zweyen griechischen Wörtern gebildet, nemlich aus Orthos, welches gerade, von Ungestalt befreyet, was nach der Richtigkeit ist, heisset, und aus Pädion, welches ein Kind bedeutet. Ich habe aus diesen zweyen Wörtern, das Wort Orthopädie gemacht, um mit einem Ausdrucke den Vorsatz auszudrucken, den ich mir vorgenommen habe, nemlich verschiedene Mittel zu lehren, bey den Kindern die Ungestaltheiten des Körpers zu verhüten und zu verbessern."

Andry setzte also stark auf prophylaktische Maßnahmen und physische Erziehung, er sah sich als Aufklärer und Pädiater, dessen orthopädische Kunst dem Kind zu einer geraden Haltung verhelfen sollte. Frei sollte sich das heranwachsende Kind entwickeln, ohne drohende Deformierung durch zu enges Wickeln und durch einschnürende Kleider und Schuhe. Außer der Prävention verwies er auch auf Maßnahmen, um Verkrümmungen der Wirbelsäule und der Beine zu korrigieren, etwa durch Heilgymnastik, durch tägliche Übungen mit Stäben oder auch durch Schienen - ein richtungweisender Gedanke, galten doch damals Verkrüppelungen als gottgegeben und kaum korrigierbar.

Das Symbol für seine korrektive Grundeinstellung sah Andry in einem gekrümmten Bäumchen, das mit einem kräftigen Seil an einen geraden Holzstamm herangezogen und aufgerichtet wird. Die schöne Kupferstich-Abbildung aus Andrys liebevoll illustriertem Buch avancierte schließlich als Metapher von Wuchslenkung und Stützbehandlung zum Sinnbild der Orthopädie schlechthin.

Andrys Bemühen, Haltungsfehler und Fehlbildungen durch Stützapparate und Korsetts zu korrigieren, passten zu einer Zeit, in der auf Vernunft gesetzt wurde. Seine Ideen wurden zu einer wahren Modeerscheinung und beeinflussten auch Jean Andre Venel (1740-1791), den Gründer des weltweit ersten orthopädischen Instituts in der Schweiz.

Andrys nachhaltige Wirkung ist dennoch erstaunlich. Schließlich fiel er, der seine berufliche Laufbahn als Geistlicher begonnen und erst 1693 in Reims in Medizin promoviert hatte, einst vor allem als intriganter Charakter auf, der sich besonders gegen die Gleichstellung der Chirurgen mit den Ärzten vehement engagierte. Obwohl er es schließlich bis zum Medizinprofessor am Collège Royal in Paris brachte, waren Andrys medizinische Ansichten nicht selten seltsam.

So diskutierte er Theorien, wonach man zur Zeugung von wohlgestalteten Kindern die Konstellation der Sterne zu beachten habe. Auch seine vieldiskutierte, spekulative "Wurmpathologie" beeindruckt aus heutiger Sicht vor allem als Kuriosum - sowie durch seine originellen Abbildungen von Bandwürmern.

Kritik gab es nicht zuletzt von seiten der medizinischen Zunft, der Andry den Namen gab. So störten sich viele "Nachfolger" an seiner orthopädischen "Kosmetik" - die bis hin zu Tipps zur Behandlung kranker Zähne und widerborstiger Augenbrauen ging. Doch so sehr sich der Begriff und Inhalt des Wortes Orthopädie auch wandelte - Andrys Wortschöpfung hat sich bis heute gehalten.

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