Sicherungsverwahrung

Rückfall bei Straftätern seltener als angenommen

Eine Göttinger Studie zur nachträglichen Sicherungsverwahrung zeigt: Gutachter schätzen das Rückfallrisiko von Straftätern in vielen Fällen zu hoch ein.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Ist ein Mensch eine Gefahr für andere? Das Gericht muss jedes Jahr neu darüber entscheiden.

Ist ein Mensch eine Gefahr für andere? Das Gericht muss jedes Jahr neu darüber entscheiden.

© Carsten Rehder / dpa

GÖTTINGEN. Für Gerhard Schröder war die Sache klar. "Wegsperren - und zwar für immer", forderte der damalige SPD-Bundeskanzler 2001 als Sanktion für Sexualstraftäter, vor denen die Allgemeinheit geschützt werden müsse.

Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass als gefährlich eingestufte Straftäter rückfällig werden, statistisch geringer als psychiatrische Sachverständige vermuten.

Das zeigt nun eine Studie der Forensischen Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung.

Weniger als 30 Prozent der Straftäter, die Gutachter als gefährlich für die Allgemeinheit eingestuft hatten, begingen nach der Entlassung in die Freiheit wieder eine schwere Straftat.

Für ihre Studie haben die Wissenschaftler Professor Jürgen Müller und Dr. Georg Stolpmann bundesweit sämtliche Fälle ausgewertet, in denen der Bundesgerichtshof eine nachträgliche Sicherungsverwahrung abgelehnt hatte.

Die betroffenen Straftäter - insgesamt 32 Männer - hatten zuvor wegen schwerer Delikte wie Mord, Brandstiftung oder Vergewaltigung viele Jahre in Haft gesessen.

Umstrittene Gesetzesänderung

Bei ihrer Verurteilung hatten die Gerichte gegen sie keine Sicherungsverwahrung verhängt, weil die formellen Voraussetzungen - ein bestimmtes Mindestmaß an Vorstrafen und ein attestierter Hang zu erheblichen Straftaten - nicht vorlagen.

Während ihrer Haft trat 2004 eine umstrittene Gesetzesänderung in Kraft, wonach Gerichte in bestimmten Fällen auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Sicherheitsverwahrung auch nachträglich verhängen konnten.

In allen Fällen hatten jeweils zwei psychiatrische Gutachter unabhängig voneinander die betroffenen Straftäter als gefährlich eingestuft und ihnen eine ungünstige Prognose ausgestellt.

Der BGH lehnte die Anträge aus rechtlichen Gründen ab, weil eine entscheidende Voraussetzung fehlte: Es müssen sich während der Haftzeit neue Tatsachen ergeben haben, die auf eine Gefährlichkeit des Täters schließen lassen. An diesen neuen Tatsachen fehlte es, deshalb kamen die zumeist mehrfach vorbestraften Männer wieder auf freien Fuß.

Die Göttinger Experten für forensische Psychiatrie untersuchten, ob die als gefährlich eingestuften Straftäter nach ihrer Entlassung erneut straffällig wurden.

Die Auswertung der Auskünfte aus dem Bundeszentralregister ergab, dass 34 Prozent der Haftentlassenen über den gesamten Untersuchungszeitraum von sieben Jahren hinweg keinerlei Straftaten begangen hatten.

Gutachter tendenziell konservativ

37 Prozent fielen wegen geringer Straftaten auf, die nicht mit Gefängnis geahndet werden, zum Beispiel Schwarzfahren oder geringfügiger Diebstahl. 28 Prozent wurden erneut mit schweren oder einschlägigen Delikten straffällig, die mit Freiheitsstrafen oder einer Maßregelunterbringung geahndet wurden.

Fazit: Bei mehr als zwei Drittel der Straftäter bestätigte sich die Gefährlichkeitsprognose nicht.

Die Gutachter seien tendenziell eher konservativ eingestellt gewesen, bilanziert Stolpmann. Er plädiert für eine differenziertere Vorgehensweise.

Die Auswertung der Fälle habe beispielsweise ergeben, dass bei den Rückfälligen häufig Alkohol eine Rolle gespielt habe. Möglicherweise ließe sich das Rückfallrisiko durch eine Alkohol-Entwöhnung verringern.

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