Traum in der Box

Vom Schuhputzer zum Ernährer der Nation

Nicht überall auf der Welt können Kinder ihre Freizeit mit Spielen verbringen. Um Geld zu verdienen, machen sie Jobs, die wenig Respekt bringen. Ein Berliner Verein hilft den jungen Schuhputzern in Äthiopien mit Aufklärung und Putzmaterial.

Von Carola Frentzen Veröffentlicht:
Vereinsgründer Dawit Shanko zwischen jungen Schuhputzern in Äthiopien: Der Berliner organisiert seit fünf Jahren den "Listros Day".

Vereinsgründer Dawit Shanko zwischen jungen Schuhputzern in Äthiopien: Der Berliner organisiert seit fünf Jahren den "Listros Day".

© Carola Frentzen / dpa

ADDIS ABEBA. So mancher in Deutschland mag glauben, dass professionelles Schuheputzen und das Bild von einem staubigen, armen Afrika so gar nicht zusammenpassen.

Aber sie täuschen sich: In Äthiopien etwa legen die Menschen sehr großen Wert darauf, mit glänzend sauberen Schuhen unterwegs zu sein. Zu jeder Tageszeit und an fast allen Ecken der Hauptstadt Addis Abeba lassen sich Kunden von größtenteils blutjungen Schuhputzern die Ledertreter polieren.

"Listros" heißt diese Berufsschicht in dem Land am Horn von Afrika. Wörtlich übersetzt bedeutet das soviel wie "glänzend machen".

Kritiker werden sofort anmerken, dass es sich um Kinderarbeit handelt und die kleinen Schuhputzer ihre Freizeit lieber mit Spielen verbringen sollten.

Aber für viele junge Äthiopier ist die Nebentätigkeit vor allem eine Möglichkeit, sich eine Schulbildung zu finanzieren und somit in eine bessere Zukunft zu investieren.

"Wer als Listro gearbeitet und die Schule besucht hat, kann auch das Land führen", meint der heute 19-jährige Abdurahman Kassim.

Oder er kann zumindest so erfolgreich werden wie Dawit Shanko, der vor zehn Jahren in Berlin den Verein Listros e.V. gegründet hat.

"Ich war als Kind selbst Schuhputzer in Addis Abeba, und es hat mein Selbstbewusstsein ungemein gestärkt, dass ich mir einen Stift kaufen konnte, wenn er mir gefiel, und selbst für meine Schuluniform bezahlt habe", sagt der 43-jährige gebürtige Äthiopier, der seit 25 Jahren in Deutschland lebt.

Shanko ist derzeit zu Besuch in seinem Heimatland, wo kürzlich bereits zum fünften Mal der so genannte "Listros Day" veranstaltet wurde.

Ziel seines Vereins ist es, den rund 39.000 Jugendlichen, die nach Polizeiangaben allein in Addis Abeba einer Arbeit nachgehen, eine Stimme zu verleihen. Das sind nicht nur Schuhputzer, sondern auch Autowäscher, Parkplatzwächter oder Bauchladenverkäufer.

"Heute sind wir Listro"

"Aber die meisten von ihnen werden wie Dreck angesehen und wie Kriminelle behandelt - dabei sind sie Teil der Lösung für Äthiopiens Probleme und können dazu beitragen, dem Land aus der Armut zu helfen", erklärt Shanko.

Denn Bildung kostet Geld, doch das fehlt den meisten Familien. Gleichzeitig ist die "Förderung kreativen Potentials ein Motor für sozialen Wandel", heißt es auf der Listros-Webseite.

Shanko, der mit 17 Jahren ein Stipendium für eine Weiterbildung als Bauzeichner in der damaligen DDR gewann und heute als Galerist in Berlin lebt, formuliert das so: "Wir müssen den Menschen da helfen, wo sie am stärksten sind, und das ist in ihren Visionen und ihren Hoffnungen."

Seine Mitarbeiter klären auf, sprechen mit den zuständigen Behörden, mit der Polizei und dem Bildungsminister, um den "Listros" Legalität und Respekt zu verschaffen und ihr Ansehen zu stärken.

Auch Uniformen wurden bereits kostenlos verteilt. Denn ein Schuhputzer muss durchschnittlich 30 Tage arbeiten, um sich die Schulkleidung selbst zu kaufen.

Zudem gibt es Schulungen und Zusammenkünfte, Thema sind dabei auch Kriminalität und Hygiene. Unterstützt wird Shanko mittlerweile von zahlreichen deutschen Architekten und Künstlern, die Kunst- und Austauschprojekte organisieren.

Schätzungen zufolge arbeiten rund 40 Prozent aller äthiopischen Schüler nebenbei. "Weil wir arbeiten, gehen wir satt in die Schule. Wer nicht arbeitet, verliert seine Flügel", bringt es der 13-jährige Tamrad Kadwas auf den Punkt.

Sein wichtigstes Utensil ist die so genannte "Listro-Box", in der er die Schuhcreme, die Tücher und Bürsten aufbewahrt und die er als Hocker benutzt, wenn er seiner Arbeit nachgeht.

In dem Metallkasten hebt er aber auch seine Träume auf. Etwa den, im Leben eine Wahl zu haben. Oder den, eine Familie gründen und ernähren zu können. Der zehnjährige Yusuf Feksadu fasst es zusammen: "Heute sind wir Listro, morgen die Ernährer der Nation." (dpa)

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