WM-Gäste suchen Kick beim Spiel und selten im Bordell

Von Nils Wulff Veröffentlicht:

Die Befürchtungen, durch die Fußball-WM werde das Geschäft mit der käuflichen Liebe angekurbelt und Zehntausende von Zwangsprostituierten nach Deutschland eingeschleust, haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: In den meisten Bordellen herrscht Flaute; die meisten Fans suchen den Kick vor Großleinwänden und nicht bei Prostituierten.

Mit 750 000 Kondomen und "FairPlay"-Regeln hatten Prostituiertenverbände und Beratungsstellen in allen Gastgeber-Städten der Fußball-WM für einen respektvollen Umgang mit Prostituierten geworben. "Locker und lustvoll" sollte die bundesweite Kampagne sein, sagte Dorothee Türnau von der Beratungsstelle für Prostituierte "Phoenix". Ziel war es, die Fußballfans vor den Stadien und in den Vergnügungsvierteln der Städte für "Safer Sex" zu sensibilisieren.

Die Sex-Industrie witterte das Geschäft ihres Lebens. In Berlin wurde bereits im vergangenen Jahr ein "WM-Bordell" errichtet: Der Club "Artemis" bietet auf vier Etagen 60 Zimmer und rechnete mit 600 Freiern pro Nacht.

In Städten wie Köln wurden Container mit mobilen Betten und Kondomautomaten aufgestellt, sogenannte Verrichtungsboxen; andere Städte wie Dortmund hatten ernsthaft überlegt, ob sich die Brachflächen vor den umliegenden Baumärkten für die "Ausweich-Bordelle" eignen. "Die Welt zu Gast bei Huren" änderte die "Frankfurter Rundschau" angesichts dieser Aktivitäten das offizielle WM-Motto.

Im Vorfeld der Weltmeisterschaft hatten viele Ärzte, Gesundheitsexperten und Politiker vor dem steigenden Risiko für Infektionen mit sexuell übertragbaren Krankheiten gewarnt. Auch auf den möglichen Anstieg der Zwangsprostitution war immer wieder hingewiesen worden und auf die Gefahr, daß dadurch Wünsche von Freiern nach ungeschütztem Sex einfacher erfüllt werden könnten.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat zur WM ein Informationsblatt im Scheckkartenformat mit Tips auf Englisch, Deutsch und Spanisch entwickelt. Der Flyer mit der Aufschrift "Enjoy a better way in sex" wird in erster Linie von Gesundheitsämtern und Aids-Hilfen verteilt. Er wurde aber auch Anbietern von Clubs, Saunen und Bordellen zur Verfügung gestellt und von Taxifahrern an männliche Fahrgäste weitergereicht. In den Informationen wird zum Gebrauch von Kondomen aufgerufen, zudem gibt es Hinweise auf Internet-Seiten wie www.sexsicher.de oder www.sex-safe.info.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. weist während der WM auf die Gefahren von Infektionskrankheiten durch ungeschützten Geschlechtsverkehr hin. Thematisiert werden Erkrankungen wie Aids und Syphilis sowie Chlamydien und Hepatitis B. Die Devise der medizinischen Fachgesellschaft lautet: "Safer-Sex statt Eigentor!" Das Gesundheitsamt Wuppertal hat das Motto übernommen und erinnert seinerseits während der WM an die Gefahren.

Mit einer Plakataktion hat der Berliner Verein gegen Menschenhandel Ban Ying auf das Thema Zwangsprostitution aufmerksam gemacht. Unter dem Motto "verantwortlicher Freier" und unterstützt vom Berliner Senat, von Gewerkschaften und der Berliner Polizei wurde auf die Lage der verschleppten Frauen hingewiesen. In Toiletten von Kneipen, Bars und Restaurant wurden die Plakate mit der Aufschrift "Verantwortung kann man nicht in Zentimetern messen" direkt über den Pissoirs aufgehängt.

Zu sehen waren drei nach unten zeigende rote Pfeile mit den Größenangaben 7, 14,5 und 20 Zentimeter. Dazu steht: "Egal wie groß Dein Schwanz ist, Du bist der einzige, der erkennen kann, ob eine Frau zur Prostitution gezwungen wird". Auf der dazu angegebenen Homepage bieten die Initiatoren auch zehn Verhaltensregeln an, zu denen der Gebrauch von Kondomen gehört.

Dem Thema Zwangsprostitution widmete sich auch die bundesweite Kampagne "Abpfiff", initiiert vom Deutschen Frauenrat und unter Schirmherrschaft von DFB-Präsident Theo Zwanziger.

Die FairPlay-Aktion der Prostituierten-Verbände und Beratungsstellen in den Gastgeber-Städten setzt einen anderen Akzent als die Kampagnen gegen Zwangsprostitution. "Wir wollen die Lebens- und Arbeitsbedingungen von freiwilligen und legalen Sexarbeiterinnen nachhaltig verbessern", betonte Sprecherin Dorothee Türnau.

Dazu sind Gruppen von Sozialarbeiterinnen und ehrenamtlichen Helferinnen in den WM-Städten unterwegs, um mit potentiellen Freiern ins Gespräch zu kommen. Die Gruppen sind nicht zu übersehen: Jeweils eine Aktivistin steckt in einem bunten, überlebensgroßen Ganzkörper-Kondomkostüm.

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