Wenn Leistungssport die Seele zerstört

Meniskusanriss, Kreuzbandriss oder Bauchmuskelzerrung: Verletzungen am Körper gibt jeder Leistungssportler offenherzig zu Protokoll. Doch eine verletzte Seele bleibt tabu. Die Initiative "Mental gestärkt" will über das Thema bei Sportlern, Trainern und Vereinen aufklären.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Der einstige Nationaltorwart Robert Enke (v. l.), Ski-Springer Sven Hannawald und Fußballer Andreas Biermann sind prominente Fälle von Spitzensportlern mit psychischen Problemen.

Der einstige Nationaltorwart Robert Enke (v. l.), Ski-Springer Sven Hannawald und Fußballer Andreas Biermann sind prominente Fälle von Spitzensportlern mit psychischen Problemen.

© dpa

GELSENKIRCHEN. In der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Aachener Uniklinik werden auch Hochleistungssportler behandelt. Der Unterschied zu anderen Patienten: Sie kommen versteckt hinter einer dunklen Brille und erkundigen sich nach dem Hintereingang. "Wir haben auch Patienten, die unter einem anderen Namen geführt werden", berichtet Klinikleiter Professor Frank Schneider.

Seit dem Aufsehen erregenden Suizid des Fußballtorwarts Robert Enke, der an einer Depression litt, begeben sich mehr Spitzensportler in psychiatrische Behandlung. Sie wollen aber nach wie vor nicht, dass ihre Krankheit bekannt wird. "Daran hat sich wenig geändert", sagt Schneider.

Er sitzt für die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) in der Lenkungsgruppe der neuen Initiative "Mental gestärkt - psychische Gesundheit im Leistungssport". Sie wird getragen von der Robert-Enke-Stiftung, der Verwaltungsberufsgenossenschaft, der Vereinigung der Vertragsfußballspieler und der Deutschen Sporthochschule.

Ziele sind die Förderung der psychischen Gesundheit im Sport, die Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen und die Aufklärung über das Thema bei Sportlern, Trainern und Verbandsfunktionären.

Robert-Enke-Stiftung

Die Robert-Enke-Stiftung wurde am 15. Januar 2010 vom Deutschen Fußballbund, dem Ligaverband und dem Fußballclub Hannover 96 gegründet. Der Torwart Robert Enke litt an Depressionen und nahm sich am 10. November 2009 das Leben. Im September 2006 hatten er und seine Frau Teresa ihre schwer herzkranke kleine Tochter verloren.

Ziele der Stiftung sind die Förderung der Aufklärung, der Erforschung und der Therapie von Depressionen und Herzkrankheiten von Kindern. Zu den Kooperationspartnern der Stiftung gehört das Bündnis gegen Depression in der Region Hannover.

www.robert-enke-stiftung.de

Sportpsychiatrie hat einen hohen Forschungsbedarf

Bei der Sporthochschule ist eine Koordinierungs- und Anlaufstelle eingerichtet worden. Sie vernetzt die beteiligten Experten und Institutionen und vermittelt Therapie- und Beratungsangebote für Sportler und Trainer. Zielgruppe sind zunächst Fußballspieler, bei Erfolg soll das Projekt auf alle Bereiche des Leistungssports ausgedehnt werden.

Schneider verweist auf das Beispiel des Fußballspielers Andreas Biermann, der - aufgerüttelt durch das Schicksal von Robert Enke - seine eigene Depression erkannte, sie öffentlich machte und dann keine Beschäftigung im Profifußball mehr fand. "Es ist tragisch, dass Biermann sagt, er hätte sich nicht outen sollen."

Bei der Initiative gehe es aber nicht um das Outing von Sportlern, die an psychischen Erkrankungen leiden, betont Schneider. Auch andere Menschen teilten eine psychische Erkrankung nicht dem Arbeitgeber mit. Wichtiger sei, dass die Sportler ein qualitativ hochwertiges Behandlungsangebot erhalten. "Das Versorgungssystem ist da, aber viele haben große Probleme damit, es in Anspruch zu nehmen." Das will "Mental gestärkt" ändern.

In der Sportpsychiatrie bestehe noch hoher Forschungsbedarf, sagt Schneider. Depression sei bei Sportlern vermutlich die häufigste psychiatrische Diagnose und in der Prävalenz mit der Normalbevölkerung vergleichbar, sagt Schneider. Etwas häufiger als im Durchschnitt seien Anorexie und Bulimie.

Gefährdet seien dabei besonders Aktive aus Sportarten mit einem hohen ästhetischen Anspruch und solche, bei denen ein geringes Gewicht eine Rolle spielt, wie beim ehemaligen Skispringer Sven Hannawald.

Junge Sportler müssen mit Niederlagen umgehen

"Wir wollen auch die Sportpsychologen für das Thema sensibilisieren", sagt Professor Jens Kleinert vom Psychologischen Institut der Sporthochschule. Bei der sportpsychologischen Betreuung dürfe es nicht nur darum gehen, die Sportler zu motivieren und ihre Leistungsfähigkeit zu steigern.

Die Psychologen müssten sich auch um die Gesundheit und die Entwicklung der Persönlichkeit kümmern. "Das Thema Gesundheit und psychische Gesundheit muss in die Ausbildung der Sportpsychologen integriert werden", sagt Kleinert.

Gerade junge Sportler müssten lernen, mit Niederlagen umzugehen. "Niederlage und Misserfolg sind im Sport häufiger als der Erfolg." 50 Prozent der Nachwuchsleistungssportler werfen innerhalb eines Jahres das Handtuch, berichtet er. "Das liegt selten an der Leistung. Sie kommen mit dem System nicht zurecht."

Robert Enkes Witwe Teresa Enke begrüßt die Initiative. "Ich wünsche mir, dass sich durch die Arbeit im Leistungssport viel verändert." Wichtig sei jetzt, dass die Angebote auch angenommen werden - "damit nicht noch einmal so etwas Schlimmes passiert".

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