Situation in Kliniken

Arzt beklagt: „Intensivmedizin ist der Reparaturbetrieb für die Politik“

Onkologe Michael Hallek warnt vor den Folgen zahlloser verschobener Operationen. Er beklagt, Ärzte in Kliniken hätten sich in argumentative Falle locken lassen. Ein Intensivmediziner sieht schon aktuell eine „latente Triage“.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Verlangt von den führenden Politikern in der aktuellen Lage „Leadership“: Professor Michael Hallek, Direktor der Klinik I für Innere Medizin an der Uniklinik Köln.

Verlangt von den führenden Politikern in der aktuellen Lage „Leadership“: Professor Michael Hallek, Direktor der Klinik I für Innere Medizin an der Uniklinik Köln.

© Marius Becker/dpa

Berlin. Auf Intensivstationen in deutschen Krankenhäusern findet bereits jetzt eine „weiche Triage“ statt. Krebsoperationen müssten zum Beispiel vertagt werden, weil kein Intensivbett mehr aktuell frei ist – unter Inkaufnahme gesundheitlicher Nachteile für den betreffenden Patienten.

„Wir haben uns in eine argumentative Falle locken lassen“, konstatierte Professor Michael Hallek, Direktor der Klinik I für Innere Medizin an der Uniklinik Köln, bei einer Online-Veranstaltung des Science Media Centers (SMC) am Mittwoch.

Im gesellschaftlichen Diskurs werde suggeriert, solange die Krankenhäuser mit der intensivmedizinischen Versorgung irgendwie klarkommen, sei alles in Ordnung, klagte Hallek. Diese Debatte müsse dringend neu ausgerichtet werden, forderte er und verwies auf die rund 1000 COVID-19-Toten allein in der vergangenen Woche. Hallek verlangte von den führenden Politikern „Leadership“. Die Intensivmedizin sei keine „Reparaturwerkstatt für eine fehlgeleitete Politik“.

Notfallversorgung in Hotspots am Limit

Mit Blick auf die täglich bundesweit 80 bis 100 zusätzlichen COVID-Patienten auf Intensiv sei zu konstatieren, dass die Notfallversorgung vor allem in Bayern, Thüringen und Sachsen bereits jetzt teilweise nicht mehr gewährleistet werden könne, sagte Professor Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Durchschnittlich rund 0,8 Prozent der Neuinfizierten würden mit einem Zeitverzug von bis zu drei Wochen intensivpflichtig.

Auch Kluge sieht bereits aktuell eine „latente Triage“, wenn zum Beispiel Schlaganfallpatienten wegen Kapazitätsengpässen nicht mehr in einer spezialisierten Fachklinik behandelt werden können. Es wundere ihn, dass die Politik darauf bisher nicht reagieren, so Kluge. „Wir sind nicht mehr so leistungsfähig“, sagte er mit Blick auf die Lage in den Intensivstationen. Das Personal sei erschöpft, der Krankenstand unter den Mitarbeitern hoch.

Trotz der Intensivbetten, die wegen Personalmangels nicht mehr betrieben werden können, sei die Infrastruktur in Deutschland sehr gut ausgebaut, sagte Professor Reinhard Busse, Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin. In Schweden kämen fünf Intensivbetten auf 100 .000 Einwohner, hierzulande seien es sieben Mal so viele.

COVID-Patienten liegen länger als andere auf Intensiv

Erschwerend komme aber hinzu, dass COVID-Patienten viel länger ein Intensivbett belegten als andere Patienten – im Schnitt dauere deren Aufenthalt auf Intensiv nur vier Tage, so Busse: „Wenn die Zahlen weiter so hochgehen, wird es kritisch.“

Skeptisch bewerteten alle drei Ärzte die Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht. Hallek hält die Diskussion darüber für verfrüht. Er warb dafür, den Neustart der Impfkampagne „generalstabsmäßig“ zu organisieren. Busse ließ Sympathie für das Vorgehen in Frankreich erkennen – dort seien bestimmte Berufsgruppen zur Impfung verpflichtet.

Der Intensivmediziner Kluge argumentierte, ein solcher Schritt würde Krankenhäusern angesichts des Testregimes und der bereits hohen Durchimpfung des Personals wenig helfen. Zugleich müsste man in einem solchen Fall damit rechnen, dass 10 bis 15 Prozent des Pflegepersonals künftig nicht länger am Bett einsatzfähig wären.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte aus Datawrapper Um mit Inhalten aus Datawrapper zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir Ihre Zustimmung. Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte aus Sozialen Netzwerken und von anderen Anbietern angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät notwendig. Weitere Information dazu finden Sie hier.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Der Gesundheitsdialog

© Janssen-Cilag GmbH

J&J Open House

Der Gesundheitsdialog

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

© Springer Medizin

Johnson & Johnson Open House-Veranstaltung am 26. Juni 2025 beim Hauptstadtkongress

Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
J&J Open House beim Hauptstadtkongress

© [M] Springer Medizin Verlag

Video zur Veranstaltung

J&J Open House beim Hauptstadtkongress

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: Schematische Wirkprinzipien verschiedener immuntherapeutischer Ansätze beim Multiplen Myelom

© Johnson & Johnson

Therapie des Multiplen Myeloms

Ebnet die Präzisionsmedizin den Weg zur funktionellen Heilung dieser Neoplasie?

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Janssen-Cilag GmbH, Neuss
Abb. 1: APPULSE-PNH-Studie: Hämoglobin-Werte und ARC während des 24-wöchigen Studienzeitraums

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [8]

Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH)

Nach Umstellung auf Iptacopan: Hämoglobin-Wert klinisch relevant verbessert

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg
Tab. 1: Im Rahmen des Ringversuchs eingesetzte Anti-Claudin-18.2-Antikörperklone: Erfolgsraten und Problemanalyse. Berücksichtigt wurden Antikörper, die in 2 Laboren verwendet wurden

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [8]

Adenokarzinom des Magens/gastroösophagealen Übergangs

Claudin-18.2-Testung – wichtige Aspekte in der Praxis

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Astellas Pharma GmbH, München
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Erste Empfehlungen

Kopfschmerzen im Schlaf: Woran liegt es und was hilft?

Hidradenitis suppurativa

Wie Acne inversa erkannt und behandelt wird

Begehrte Auszeichnung

Galenus-von-Pergamon-Preis: Das sind die Kandidaten

Lesetipps
Hausärztin Claudia Kreuzer

© Josie Farquharson (Jfqphotos)

Praxisübernahme

Wie es einer Kollegin nach dem ersten Jahr der Niederlassung geht

Zu den häufigsten Folgeerkrankungen eines Diabetes gehören Neuropathien.

© Prasanth / stock.adobe.com

Nervenschädigungen

So diagnostizieren Sie die diabetische Neuropathie