Primärarztsystem

Gesundheitsministerin Gerlach: „Keine unnötigen Arztkontakte verursachen“

Bayerns Staatsministerin Judith Gerlach fordert im Interview mit der Ärzte Zeitung ein „klug umgesetztes Primärarztsystem“ – und warnt vor einer zusätzlichen Belastung der Hausarztpraxen. Bestimmte Aufgaben sollten nicht mehr von Ärzten erbracht werden.

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Judith Gerlach (CSU), Bayerns Staatsministerin für Gesundheit, eröffnet in gut vier Wochen den Europäischen Gesundheitskongress in München.

Judith Gerlach (CSU), Bayerns Staatsministerin für Gesundheit, eröffnet in gut vier Wochen den Europäischen Gesundheitskongress in München.

© dpa

Frau Gerlach, die Koalition im Bund hat sich die Einführung eines verbindlichen Primärarztsystems auf die Fahnen geschrieben. Nicht wenige warnen, die Hausarztpraxen seien schon jetzt „am Anschlag“ und könnten diese neue große Aufgabe kaum stemmen. Ist die Sorge berechtigt?

Ich halte Maßnahmen für eine bessere Patientensteuerung für einen richtigen Ansatz, um Doppeluntersuchungen und unnötige Facharztbesuche zu vermeiden. Ein klug umgesetztes Primärarztsystem könnte unser Gesundheitssystem deutlich entlasten. Klar ist aber auch: Die Entwicklung eines solchen Systems braucht ein gut durchdachtes Konzept – auf keinen Fall dürfen wir damit die Hausarztpraxen zusätzlich belasten.

Aber, wie kann es dann funktionieren?

Das Primärarztsystem kann nur funktionieren, wenn die Primärpraxen gleichzeitig entlastet werden. Ich halte beispielsweise eine Steuerung durch eine digitale Ersteinschätzung für denkbar, wodurch in bestimmten Fällen der Besuch beim Hausarzt ersetzt werden kann.

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Zudem gibt es bestimmte Aufgaben, die auch von nicht-ärztlichem Personal übernommen werden können – nicht immer muss der Patient einen Arzt sehen. Hierfür braucht es aber auch passende Abrechnungsregeln: Statt des Patienten-Arzt-Kontakts sollte künftig der Patienten-Praxis-Kontakt ausschlaggebend sein.

Braucht es für bestimmte Facharztgruppen Ausnahmen von der Regel „Zuerst zum Hausarzt, dann zum Facharzt“?

Für bestimmte Arztgruppen wie Gynäkologen und Augenärzte muss es Ausnahmen geben. Dasselbe gilt bei Vorsorgeuntersuchungen oder Impfleistungen. Auch für bestimmte Krankheitsbilder kann es Sinn machen, dass der primär betreuende Facharzt die Steuerung übernimmt, bei dem die Patienten ohnehin häufig vorstellig werden müssen. Das gilt besonders bei chronischen oder langfristigen Erkrankungen. Maßstab für das Primärarztmodell sollte immer sein, keine unnötigen Arztkontakte zu verursachen.

Judith Gerlach eröffnet den 24. Europäischen Gesundheitskongress München

Themen wie Primärarztsystem, Ambulantisierung und Transformation der Kliniklandschaft, Ambulantisierung stehen auch auf dem Programm des 24. Europäischen Gesundheitskongresses München (EGKM), den Staatsministerin Judith Gerlach mit einer Rede eröffnet. Der Kongress findet am 21. und 22. Oktober 2025 statt. Erörtert wird, wie der interdisziplinäre Austausch über sektorale, regionale und nationale Grenzen hinweg gelingt. Dieses Jahr steht die Veranstaltung unter dem Motto „Sprunginnovationen im Gesundheitswesen: Von Rückstand zur Zukunft“. Zum Kongressprogramm geht es hier.

(Der Kongress wird veranstaltet von der WISO S.E. Consulting GmbH, die zum Springer Medizin Verlag gehört.)

Am Ende braucht es perspektivisch mehr junge Menschen auch im Arztberuf. Was tut der Freistaat – und was planen Sie darüber hinaus?

Bayern hat bereits vielfältige Maßnahmen gegen den Ärztemangel ergriffen. Insbesondere setzen wir uns dafür ein, angehende Ärztinnen und Ärzte für den Hausarztberuf auf dem Land zu begeistern. So fördern wir beispielsweise mit der bayerischen Landarztprämie Niederlassungen von Ärztinnen und Ärzten in ländlichen Regionen mit bis zu 60.000 Euro. Seit 2012 konnten wir damit bereits 945 Hausärzte und 483 Fachärzte unterstützen (Stand: 31.07.2025).

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Darüber hinaus ermöglicht unsere Landarztquote, dass mehr junge Menschen auch ohne Einser-Abitur eine zusätzliche Chance auf einen der begehrten Medizinstudienplätze erhalten. Weitere Maßnahmen sind die Erhöhung der Medizinstudienplätze und Stipendienprogramme für spätere Landärztinnen und -ärzte sowie das Programm ‚Beste Landpartie Allgemeinmedizin‘.

Und außerdem?

Gleichzeitig fördert Bayern zukunftsfähige hausärztliche Praxismodelle, die beispielsweise sehr gut ausgebildetes nicht-ärztliches Personal stärker einbinden. Denn nicht alle Aufgaben müssen zwingend von einem Arzt oder einer Ärztin übernommen werden.

Was wir ebenfalls brauchen, sind eine echte Entbürokratisierung und Digitalisierung der Praxen. Denn eine digitale medizinische Ersteinschätzung könnte Hausärzte deutlich entlasten. Daneben bietet die Telemedizin viel Potenzial, um Wege- und Wartezeiten zu reduzieren und schnellere Diagnosen und Therapien zu ermöglichen. Auch die elektronische Patientenakte und digitale Arztbriefe tragen dazu bei, Behandlungsprozesse zu beschleunigen und unsere knappen Ressourcen effizienter zu nutzen.

Frau Gerlach, vielen Dank für das Gespräch! (gab/hom)

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