Metabolisches Syndrom

Die fatalen Folgen von Übergewicht bei Kindern

Schon adipöse junge Menschen können ein Metabolisches Syndrom entwickeln. Wichtig ist es, bei ersten Anzeichen zu behandeln und Transitionsprogramme in die Regelversorgung zu bringen, betonen Mediziner.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Fast jedes zweite adipöse Kind hat schon Alarmzeichen für ein Metabolisches Syndrom, warnen Ärzte.

Fast jedes zweite adipöse Kind hat schon Alarmzeichen für ein Metabolisches Syndrom, warnen Ärzte.

© Aunging / stock.adobe.com

Berlin. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) warnt vor den Folgen von Übergewicht im Kindesalter. Etwa 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland brächten derzeit zu viele Pfunde auf die Waage, rund 800.000 von ihnen litten unter Adipositas.

Je ausgeprägter diese sei, desto höher sei auch das Risiko für ein Metabolisches Syndrom, sagte die Leiterin des Bereichs Adipositas am Sozialpädiatrischen Zentrum der Berliner Charité und Vizepräsidentin der Adipositas-Gesellschaft, Dr. Susanna Wiegand, am Dienstag im Vorfeld der diesjährigen Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Zum Kongress am 8. und 9. November in Leipzig erwartet die DDG über 3500 Ärzte und Mitarbeiter von Diabetesteams.

Direkte Folgekosten rund 30 Milliarden Euro jährlich

Bei adipösen Kindern stellten Ärzte schon zu Beginn der Pubertät in 30 bis 50 Prozent der Fälle mindestens eine Komponente des Metabolischen Syndroms wie Bluthochdruck oder einen krankhaft erhöhten Blutzuckerspiegel fest, berichtete Wiegand. Bei extremer Adipositas liege die Häufigkeit bei etwa 60 Prozent. Blieben erste Anzeichen eines Metabolischen Syndroms unbehandelt, könne dies zu einem manifesten Diabetes-Typ-2 oder zur Leberverfettung führen.

Für Betroffene bedeute dies verminderte Lebensqualität und Lebenserwartung, für das Gesundheitssystem hohe Ausgaben, sagte Wiegand. Allein in Deutschland summierten sich die Kosten für die Behandlung der direkten Folgen der Adipositas auf jährlich rund 30 Milliarden Euro. „Ein großer Posten ist die Therapie des Diabetes.“

Auch die OECD hatte unlängst auf die Folgen von Fettleibigkeit bei Kindern hingewiesen. So sei die Wahrscheinlichkeit, dass adipöse Kinder gute Leistungen in der Schule erzielten, um 13 Prozent niedriger. Sie fehlten öfter im Unterricht als Altersgenossen mit Normalgewicht. Auch würden sie häufiger gehänselt. Mit Fettleibigkeit und Übergewicht einhergehende Krankheiten senkten die Lebenserwartung um knapp drei Jahre.

Gesündere Ernährung und Bewegung helfen

Die „gute Nachricht“ sei, dass bereits eine gesündere Ernährung und mehr Bewegung die Stoffwechselsituation verbessern könnten, sagte Charité-Ärztin Wiegand. Wenn diese Umstellungen jedoch nicht gelängen oder ausreichten, um ein Metabolisches Syndrom zu verhindern, seien die jeweiligen Komponenten medikamentös zu behandeln.

Besser sei es aber, den Stoffwechsel durch ein verändertes Ernährungs- und Bewegungsverhalten wieder ins Lot zu bringen, unterstrich Tagungspräsident Dr. Nikolaus Scheper. Für die jungen Patienten sei es wichtig und motivierend zu wissen, dass sich positive Effekte nicht erst einstellten, wenn sie Normalgewicht erreichten. „Die Insulinsensitivität verbessert sich schon deutlich, wenn die Betroffenen sich mehr bewegen – auch ohne Gewichtsverlust.“

Dazu brauche es auf Ernährung und Bewegung ausgerichtete Therapieangebote. Diese bezögen im Idealfall auch die Familie übergewichtiger Kinder ein, sagte Scheper, der auch erster Vorsitzender des Bundesverbands Niedergelassener Diabetologen ist.

Lückenlose Transition müsse gelingen

Scheper mahnte zudem mehr Unterstützung von an Diabetes erkrankten Kindern und Jugendlichen beim Übergang von der pädiatrischen Betreuung in die Erwachsenenmedizin an. Viele verlören in dieser Zeit vorübergehend den Kontakt zur diabetologischen Spezialbetreuung. Das Risiko für Folgeschäden und Komplikationen nehme dann zu. Nötig seien daher Programme, die eine lückenlose Transition sicherstellten.

Das bisher einzige Programm dieser Art, das auch von den meisten Kassen finanziert werde, sei das Berliner „TransitionsProgramm“, so Scheper. In diesem kümmern sich Fallmanager um die jungen Patienten. Der übernehmende Erwachsenen-Diabetologe erhält eine strukturierte Zusammenfassung der bisherigen Krankengeschichte.

Darüber hinaus gehender Abstimmungsbedarf wird in einer gemeinsamen Sprechstunde mit dem Jugend- und dem Erwachsenen-Diabetologen geklärt. Sämtliche Zusatzleistungen werden den Ärzten extrabudgetär vergütet. Solche Angebote seien aber noch nicht in der Routineversorgung angekommen.

Gute Stoffwechseleinstellung wichtig

Wichtiges Ziel der Diabetes-Behandlung sei eine gute Stoffwechseleinstellung, sagte Dr. Silvia Müther, Leiterin des Diabeteszentrums für Kinder und Jugendliche an den DRK Kliniken Berlin. „Gerade in den Jahren der Adoleszenz lässt die Blutzuckerkontrolle jedoch oft zu wünschen übrig.“ Blutzuckerspiegel und HbA1c-Wert seien in dieser Phase oft erhöht.

Dafür gebe es einerseits hormonelle Gründe, erläuterte Müther. Zum anderen spielten alterstypische Verhaltensmuster eine Rolle: Die Jugendlichen koppelten sich zunehmend vom Rhythmus und der Tagesstruktur der Eltern ab. „Variierende Essenszeiten aber können für Menschen mit Diabetes ebenso zum Problem werden wie eine erlebnisorientierte Freizeitgestaltung mit spontanen körperlichen Aktivitäten.“

Zudem werde die Therapie oft nicht mehr mit der Sorgfalt umgesetzt, wie es unter Regie der Eltern der Fall gewesen sei. Umso wichtiger sei eine strukturierte ärztliche Begleitung junger Diabetiker.

Rund 32.500 Kinder mit Diabetes in Deutschland

Laut DDG sind etwa sieben Millionen Bundesbürger an Diabetes erkrankt, darunter 32 500 Kinder und Jugendliche (meist mit Typ-1-Diabetes).

„Mit der zunehmenden Zahl multimorbider Diabetespatienten wird neben der ambulanten Versorgung auch der Bedarf an qualifizierten stationären Einrichtungen steigen“, sagte DDG-Präsidentin Professor Monika Kellerer.

So wichtig und gut die ambulante Versorgung des Diabetes heute sei, so unverzichtbar sei auch eine adäquate stationäre Versorgung. Diese sei sowohl für Patienten nötig, die wegen ihres Diabetes ins Krankenhaus müssten, als auch für „die jährlich vielen Millionen Menschen“, die sich wegen einer Diabeteserkrankung in stationäre Behandlung begäben.

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