Krisen überwinden

Digitale Unterstützung für Trauernde – und für Kindesmissbrauchstäter

Forschungsprojekte in der Psychiatrie gelten als schwierig, weil Therapien meist aus vielen Komponenten bestehen. Auf dem Vormarsch sind Web-basierte Therapieansätze in sehr verschiedenen Einsatzgebieten, wie etwa der Trauerbewältigung bei älteren Menschen oder in der forensischen Psychiatrie.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Ältere Dame mit besorgtem Gesichtsausdruck vor einem aufgeklappten Laptop.

Ein internetbasiertes Selbstmanagementprogramm für Trauernde zwischen 60 und 77 Jahren hat eine hohe Akzeptanz bei den Nutzern.

© Ermolaev Alexandr / stock.adobe.com

Berlin. Digitale Gesundheitsanwendungen (Apps) sind möglicherweise ein vielversprechender Ansatz in der Psychiatrie, um Krisen zu überwinden oder diese auch zu vermeiden. Projekte dazu wurden beim digitalen Hauptstadtsymposion der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie vorgestellt.

Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung eines internetbasierten Selbstmanagement-Programms für Trauernde über 60 Jahre (trauer@aktiv). Es ist Bestandteil der internationalen Agewell-Studie, die 60- bis 77-jährige Patienten von Hausärzten einschließt, die ein Risiko für psychische und psychiatrische Krankheiten haben.

Dabei wird eine Multikomponentenintervention eingesetzt, die auf Ernährungsberatung, erhöhte körperliche Aktivität, kognitives Training, Förderung sozialer Aktivität und Interventionen bei Trauer und depressiver Symptomatik abzielt. Die Agewell-Studie ist weltweit angelegt, neben großen Teilen aus Europa nehmen Patienten vom gesamten amerikanischen Kontinent, China, Indien und Australien teil.

Speziell für ältere Patienten, die einen Partner oder ein Familienmitglied verloren haben, ist ein internetbasiertes Programm entwickelt worden – ein aus verschiedenen Modulen bestehender Werkzeugkasten zur eigenständigen Trauerbewältigung, berichtete Professorin Steffi Riedel von der Uni Leipzig: die einzelnen Module behandeln die Themen Abschied und Trauer, geben Raum für Erinnerungen, unterstützen die Entwicklung hilfreicher Gedanken, erleichtern das Abschiednehmen und helfen beim Aufbau neuer Beziehungen.

Hohe Akzeptanz

Erste Evaluationen in Pilotstudien – vor Start in eine randomisierte kontrollierte Studie, die die Wirksamkeit des Selbstmanagement-Programms zeigen soll – deuten auf eine hohe Akzeptanz sowohl bei Nutzern wie bei Experten hin. 83 Prozent der Befragten zeigten sich hoch zufrieden und bescheinigten dem Programm eine „exzellente Usability“.Nach Einschätzung von Riedel steigt die Akzeptanz von Digitaltechniken bei älteren Menschen derzeit sprunghaft.

Ein anderes Beispiel für den Einsatz von Digitaltechniken ist die App @mytabu, die von der Universitätsmedizin Göttingen mit den Unis Erlangen-Nürnberg und Hamburg-Eppendorf sowie der Hochschule der Polizei und der Kriminologischen Zentralstelle zur Online-Intervention für Kindesmissbrauchstäter während der Bewährungs- und Führungsaufsicht entwickelt wurde.

Virtual Reality ist eine Therapieoption auch in der forensischen Psychiatrie – und zwar ohne Gefährdung Dritter.

Professor Jürgen L. Müller, forensischer Psychiater, an der Universität Göttingen

Der Hintergrund, so Professor Jürgen L. Müller, forensischer Psychiater an der Uni Göttingen: Die Zahl der Missbrauchstäter in der Führungsaufsicht steigt, die Täter haben ein hohes Rückfallrisiko, es gibt chronische Versorgungsengpässe, weil Versorgungszentren keine verurteilten Kinderpornografie- und Missbrauchstäter aufnehmen, niedergelassene Psychiater oder Psychotherapeuten die Zielgruppe nicht behandeln und generell Unterversorgung in ländlichen Regionen besteht.

Die App ermöglicht eine von Therapeuten begleitete Online-Intervention, eine fortlaufende Online-Risiko-Einschätzung und zielt auf evidenzbasierte Risikofaktoren. Sie entlastet die Bewährungshelfer und ermöglicht eine professionellere Versorgung auch in ländlichen Regionen. Sie ist zugleich ein Beitrag für den Schutz der Öffentlichkeit.

In einer randomisierten klinischen Studie wird die Wirksamkeit dieses Instruments überprüft. Nach Abschluss dieser Studie könnte @mytabu umgehend den sozialen Diensten der Justiz im Rahmen einer Non-Profit-Disseminationsstrategie zur Verfügung gestellt werden.

Therapieoptionen für Straftäter

Virtual Reality als neue digitale Technik verspricht laut Müller etliche Anwendungsmöglichkeiten in der forensischen Psychiatrie: als eine ergänzende Therapieoption für psychisch kranke Straftäter, als Möglichkeit der Risikoprognose und schließlich auch für das Training für Personal und Therapeuten – und zwar ohne eine Gefährdung Dritter. Virtual Reality-basierte Verhaltenstests seien auch auf hochgesicherten Stationen möglich.

Lesen sie auch
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Was die MS-Behandlung auszeichnet

© Suphansa Subruayying | iStock

Lebensqualität

Was die MS-Behandlung auszeichnet

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

© AscentXmedia | iStock

Lebensqualität

Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

© Aleksandr | colourbox.de

Fatal verkannt

Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

© polkadot - stock.adobe.com

Vitamin-B12-Mangel

Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
B12-Mangel durch PPI & Metformin

© Pixel-Shot - stock.adobe.com

Achtung Vitamin-Falle

B12-Mangel durch PPI & Metformin

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

© Dr_Microbe / stock.adobe.com

Entwicklungen in der Therapie neuromuskulärer Erkrankungen

Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen
Abb. 1: a) Verlauf einer Gruppe unbehandelter Personen, b) 5-Jahres-Daten der SUNFISH-Studie Teil1, c) Teil2

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [3]

Therapie der 5q-assoziierten SMA

Risdiplam-Filmtabletten: flexiblere Anwendung im Alltag

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen
Rett-Syndrom: früh diagnostizieren, Betroffene bestmöglich fördern und Familien entlasten

© Olia / Generated with AI / stock.adobe.com

Neurologische Entwicklungsstörung

Rett-Syndrom: früh diagnostizieren, Betroffene bestmöglich fördern und Familien entlasten

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Acadia Pharmaceuticals (Germany) GmbH, München
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Knackpunkt Selbstzahlerleistungen

Der richtige Umgang mit IGeL-Fallen

Lesetipps
Dreidimensionale medizinische Illustration des von Morbus Crohn betroffenen Darms eines Mannes.

© Sebastian Kaulitzki / stock.adobe.com

Sicherheit und Wirksamkeit

CED: Hohe Persistenz mit modernen Therapeutika

Viele Diabetes-Patienten haben eine begleitende Depression, die wiederum die Prognose des Diabetes verschlechtern kann. Patienten mit Diabetes auf Depressionen zu screenen und gegebenenfalls zu therapieren, kann diesen Teufelskreis durchbrechen. (Symbolbild)

© AlexanderNovikov / stock.adobe.com

Eine gefährliche Kombination

Diabetes und Depressionen gehen oft Hand in Hand

Zu den häufigsten Folgeerkrankungen eines Diabetes gehören Neuropathien.

© Prasanth / stock.adobe.com

Nervenschädigungen

So diagnostizieren Sie die diabetische Neuropathie