Ein Stich für die Stammzellforscher

BERLIN. Vergangenen Freitag im Bundestag: Es ist eine hoch emotionale Debatte, den Abgeordneten ist anzumerken, dass sie die Entscheidung über eine Änderung des Stammzellgesetzes nicht auf die leichte Schulter nehmen wollen. Allerdings finden viele Parlamentarier erst pünktlich zur Abstimmung gegen 11 Uhr den Weg ins Plenum.

Von Bülent Erdogan Veröffentlicht:

Nach zwei wissenschaftlichen Anhörungen, einer Debatte im Bundestag im Februar sowie etlichen medial geführten Schlachten haben sich die Abgeordneten aller fünf Fraktionen am Freitagvormittag zum vorerst letzten Schlagabtausch versammelt. Die Besucherränge sind gut gefüllt, zu den Gästern haben sich auch Mitglieder des neuen Deutschen Ethikrates gesellt.

Streitobjekt ist das Stammzellgesetz von 2002. Vier Anträge stehen zur Entscheidung an: Soll der Stichtag vom 1. Januar 2002 auf den 1. Mai 2007 verlegt oder vielleicht gar ganz abgeschafft werden - soll er beibehalten oder die Forschung hierzulande gar komplett verboten werden?

Da das Thema ethische Grundfesten berührt, herrscht wie gewöhnlich keine Fraktionsdisziplin. Und so halten sich die politischen Schwergewichte Volker Kauder (CDU) und Peter Struck (SPD) ebenso zurück wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Einzig Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) tritt in den Ring, sie hatte die Debatte um eine Verschiebung des Stichtags in den vergangenen Monaten mit bestimmt.

Angesichts der den Abgeordneten gewährten "Freiheit" entwickelt sich im Lauf der nächsten knapp zwei Stunden eine leidenschaftlich geführte Debatte mit ungewöhnlichen Konstellationen. Da plädiert etwa der grüne Abgeordnete Volker Beck gemeinsam mit dem überzeugten Katholiken Hubert Hüppe (CDU) mit Verve für ein Verbot der embryonalen Stammzellforschung.

Interessante Bündnisse zeigen sich auch auf Seiten der Befürworter einer Abschaffung des Stichtags: So gehen der Pfarrer Peter Hintze (CDU), der SPD-Abgeordnete Rolf Stöckel und die Liberale Ulrike Flach mit der Forderung nach einer ersatzlosen Streichung des Stichtags in die Debatte. "Den Stichtag einmal verschieben, hieße, das leckgeschlagene Schiff leer pumpen und wieder auf die hohe See schicken", bemüht Protestant Hintze ein Bild aus der maritimen Welt. "Machen wir es lieber ganz richtig, machen wir das Forschungsschiff hochseefest", sagt er und zeichnet in diesem Moment auch die Zerrissenheit vieler Christen in Deutschland nach. Noch am Morgen hatte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, im Deutschlandfunk ein völliges Verbot der embryonalen Stammzellenforschung verlangt. Der Vorschlag einer Verschiebung des Stichtags stammt hingegen von Bischof Wolfgang Huber, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands.

Bunt gemischt ist auch die Gruppe derer, die am Stichtag festhalten wollen. Für sie pochen Monika Knoche (Linke), Priska Hinz (Grüne) oder Michael Goldmann (FDP) für den Kompromiss von 2002. Das Gesetz war damals nur unter heftigen Wehen zustande gekommen. Das Schlusswort der Debatte hat René Röspel (SPD). Wie rund 180 Abgeordnete spricht er sich für eine einmalige Verschiebung des Stichtags aus.

Im Anschluss stimmen die Abgeordneten ab, 346 Abgeordnete votieren für den Gesetzentwurf von Röspel. Dieser erzielt damit sogar eine absolute Mehrheit. Zuvor haben die Befürworter einer Streichung des Stichtags und eines Verbots der Forschung Achtungserfolge errungen. Der Antrag für eine Beibehaltung des Stichtags kommt hingegen gar nicht mehr zur Abstimmung.

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DIE DEBATTE ZUR STAMMZELLFORSCHUNG - AUSZÜGE AUS DEN BUNDESTAGSREDEN Ich bin zu einer neuen Einschätzung gekommen Glaubwürdigkeit wird beschädigt Beide Forschungsansätze nötig Die Tür wird nicht mehr zugehen Stichtag war nicht erfolgreich Stabile Übereinkunft für ethisches Dilemma Keine Argumente für die Verschiebung

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