Hamburger KV-Vize

"Es stimmt, das System wird missbraucht"

"Parallelstrukturen müssen verschwinden": Ein Interview mit Hamburgs KV-Vize Dr. Stephan Hofmeister

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
KV Hamburg-Vize Dr. Stephan Hofmeister.

KV Hamburg-Vize Dr. Stephan Hofmeister.

© KV Hamburg

Ärzte Zeitung: Herr Hofmeister, rund 530.000 Patienten im Jahr suchen allein in Hamburg den ambulanten Notdienst auf. Warum werden immer mehr Menschen nach Ende der Sprechstunden krank?

Hofmeister: Aufschluss über die Gründe erhoffen wir uns von einer Studie, die wir in Auftrag gegeben haben und die im kommenden Jahr vorliegen wird. Sicherlich spielt das breite Angebot eine Rolle. Hinzu kommt, dass die Erwartungshaltung der Menschen gestiegen ist, kombiniert mit der ubiquitären Verfügbarkeit an medizinischen Informationen. Das führt dazu, dass Menschen unabhängig von den Sprechzeiten jederzeit eine Anlaufstelle wünschen.

Ist das Klinikangebot zu breit, brauchen wir weniger Notfallambulanzen an den Kliniken?

Hofmeister: Auf jeden Fall. 21 Klinikambulanzen in Hamburg sind ein drastisches Überangebot. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ich als Patient das Angebot wahrnehme, auch wenn ich damit bis zur nächsten Sprechstunde warten könnte.

Wo würden die Patienten bei einem eingeschränkten Klinikangebot landen?

Hofmeister: In den Praxen. Viele Patienten, die die Klinikambulanzen aufsuchen, sind keine medizinischen Notfälle. Sie könnten zu regulären Sprechstundenzeiten von den Ärzten versorgt werden.

Die Patienten haben sich aber an ein jederzeit verfügbares Angebot auch nach Praxisschluss gewöhnt - Ambulanzen an den Kliniken, Notfallambulanzen der KV, fahrender Notdienst. Die Dienste werden auch für viele Bagatellerkrankungen in Anspruch genommen. Wie lässt sich das verhindern oder muss man das auch weiterhin bedienen?

Hofmeister: Es stimmt, das System wird auch missbraucht. Weil ein Patient den fahrenden Notdienst ruft, um sich ein Rezept ausstellen zu lassen, heißt das aber nicht, dass wir den fahrenden Notdienst nicht brauchen. Das Angebot ist sinnvoll und der Bedarf ist da, aber nicht jede Nachfrage ist gerechtfertigt. Wir brauchen den fahrenden Dienst weiterhin, damit die Ärzte nicht rund um die Uhr die Praxen öffnen müssen.

Finden KV und Krankenhäuser zu einer einheitlichen Lösung?

Hofmeister: Ich halte einen gemeinsamen Modellversuch mit den Krankenhäusern in Hamburg für möglich. Nicht denkbar ist, dass wir in Hamburg wie in Flächenländern in jedem Krankenhaus eine Anlaufpraxis betreiben. Das Problem ist nur, dass jede Klinik sich das wünscht. Eifersüchteleien unter den Krankenhäusern erschweren eine Verständigung. Das ist auch nachvollziehbar, da über die Notfallambulanzen Einweisungsmanagement betrieben wird.

Könnte eine Ausweitung der regulären Sprechzeiten in den Arztpraxen das Problem lösen?

Hofmeister: Nein. Dienstagabend-Sprechstunden zeichnen sich in erster Linie dadurch aus, dass niemand kommt. Es gibt ja schon Sprechstunden am Mittwochnachmittag, am Freitagnachmittag und am Samstagmorgen. Teils wird das angenommen, teils nicht. Für Ärzte muss sich das betriebswirtschaftlich rechnen. Die normalen Sprechzeiten lasten einen Arzt schon voll aus. Bei einer Ausweitung bräuchten wir mehr Ärzte.

Welche Regelungen des Gesetzgebers könnten helfen?

Hofmeister: Wenn wir zu einer Struktur finden, auf die sich KV und Kliniken einigen, müssen die Parallelstrukturen verschwinden. Der Gesetzgeber muss klar regeln, dass dann keine weiteren Angebote existieren - sonst nehmen Patienten die auch wahr.

Lesen Sie dazu auch: Ärzte auf Achse: Der fahrende Notdienst

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