Hintergrund

Experten warnen vor neuen Schnellschüssen bei Wartungsarbeiten am Pflege-TÜV

Seit einem Jahr benotet der MDK die Qualität von Pflege. Doch die Kritik am sogenannten Pflege-TÜV verstummt nicht. Jetzt wollen Pflegekassen und Anbieter die Mängel des Verfahrens abstellen. Manchen geht das zu schnell.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Gute Pflege oder schlechte Pflege - und wie lässt sich beides unterscheiden?

Gute Pflege oder schlechte Pflege - und wie lässt sich beides unterscheiden?

© imagebroker / imago

Selten sind Glückwunschtelegramme derart distanziert ausgefallen wie die zum einjährigen Bestehen des Pflege-TÜV. Statt Komplimenten werden schonungslos Mängel aufgelistet. Der Präsident der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, etwa spricht von einem "System zur Verschleierung von Pflegedefiziten". Der Pflege-TÜV produziere Traumnoten wie am Fließband. Mit Transparenz habe das wenig zu tun, kritisiert Brysch.

Traumnoten wie am Fließband statt Transparenz

Auch bei Werner Schell vom Selbsthilfenetzwerk Pro Pflege fällt das Notensystem durch. Die ihm zugrundeliegenden Bewertungskriterien seien "mangelhaft" und würden vom Medizinischen Dienst der Kassen (MDK) zudem falsch gewichtet. Dies führe Verbraucher nicht zu einem guten Pflegeheim, sondern in die Irre.

Ins gleiche Horn bläst Elisabeth Scharfenberg. "Statt kritischer, differenzierter Bewertungen einzelner Pflegeheime liefert der Pflege-TÜV fast durchgehend gute und sehr gute Ergebnisse", sagt die Pflegesprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag. Hübsche Bewohnerzimmer, eine nette Gartenanlage oder bunte Speisepläne führten dazu, dass schlechte Noten für die Kernbereiche "Pflegequalität" und "Medizinische Versorgung" verschleiert würden. Die Verbraucher hätten davon nichts. "Die geschönten Ergebnisse nutzen letztendlich nur den Betreibern."

Im Bundesgesundheitsministerium weiß man um die Schwachstellen. Transparenz in der Pflege sei gut und wünschenswert, heißt es aus dem Umfeld von Ressortchef Philipp Rösler. Aber es dürfe nicht sein, dass der MDK weniger die Qualität einzelner Pflegeleistungen prüfe und benote als vielmehr deren Dokumentation. Die Selbstverwaltung aus Kassen und Anbieterverbänden müsse daher rasch für Korrekturen sorgen.

Gesundheitsministerium drängt auf Nachbesserungen

Nachbesserungsbedarf haben auch die Kassen ausgemacht, wenngleich sie ihr Baby zunächst einmal mit viel Lob überschütten. "Die Pflegenoten haben erstmals Transparenz in die Pflegequalität gebracht", betont der Sprecher des GKV-Spitzenverbands Florian Lanz. Gleichwohl wolle man nicht beim Erreichten stehen bleiben, "sondern die Pflegenoten jetzt Schritt für Schritt weiterentwickeln". Die Pflegenoten seien ein "riesiger Fortschritt für die Pflegebedürftigen und deren Angehörigen", findet auch Thomas Ballast, Vorstand des Ersatzkassen-Verbands vdek. Dass schlecht bewertete Heime seit Monaten versuchten, die Zeugnisvergabe per Gerichtsverfahren zu umgehen, sei zu erwarten gewesen. "Ein solcher Qualitätswettbewerb tangiert die wirtschaftlichen Interessen der Einrichtungen unmittelbar und nachhaltig", sagt Ballast. Deswegen gleich das gesamte Verfahren zu kippen, sei aber das falsche Signal - zumal die Mehrzahl der von den Landessozialgerichten - also Zweitinstanzen - gesprochenen Urteile eindeutig zugunsten des Pflege-TÜV ausgegangen sei.

Gleichwohl müssten Mängel im Verfahren abgestellt werden, gesteht Ballast ein. Dazu gehöre vor allem die "bis heute fehlende Gewichtung einzelner sehr bedeutsamer Qualitätskriterien in der Pflege" wie etwa eine fachlich richtige Wund- oder Schmerzversorgung. Werde hier gepfuscht, müsse sich dass in der Gesamtnote eines Heimes deutlicher als bisher niederschlagen. Solche "Risikofaktoren" seien eine zentrale Forderung der Kassen an die Weiterentwicklung des Pflege-TÜV, so Ballast.

Bis heute fehlt eine Gewichtung der Kriterien

Ob sich die Pflegeanbieter darauf einlassen, bleibt abzuwarten. Ballast spricht von einem "sehr verhandlungsintensiven Prozess mit den Interessenvertretern der Pflegeeinrichtungen". Bis Ende des Jahres sei aber eine einvernehmliche Lösung möglich, betont der vdek-Chef. Derzeit sitzen die Vertreter der Selbstverwaltung in Sachen Pflege-TÜV nach.

Mancher Experte warnt derweil vor neuen Schnellschüssen. "Die Pflegenoten waren eine politische Entscheidung. Das Verfahren wurde unter großem Zeitdruck umgesetzt, was auch ein Grund für die jetzigen Mängel ist", gibt Thomas Meißner vom Berliner Anbieterverband AVG zu bedenken. Er habe Sorge, "dass wir den gleichen Fehler wieder machen". Gründlichkeit müsse aber vor Schnelligkeit gehen.

"Um echte Lösungen zu finden, ist es wesentlich, den Verhandlungspartnern über den Jahreswechsel hinaus Zeit zu geben", empfiehlt auch Wilfried Voigt, Chef des evangelischen Altenpflegeverbandes DEVAP. Bei diesem Zeitfenster könnten auch erste Studien zur Frage, wie sich Ergebnisqualität in der Pflege überhaupt messen lässt, in die Wartungsarbeiten einbezogen werden.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Stiftung Pflegetest

Jetzt abonnieren
Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Gegen unerwartete Gesprächssituationen gewappnet

Tipps für MFA: Schlagfertigkeit im Praxisalltag

Lesetipps
HSK im Fokus: Der Hauptstadtkongress 2024 findet von 26. bis 28. Juni in Berlin statt.

© Rolf Schulten

Themenseite

Hauptstadtkongress: Unsere Berichte im Überblick

Die Hand eines Labortechnikers mit einem Blutröhrchen und einem Regal mit anderen Proben.

© angellodeco / stock.adobe.com

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Chronisch entzündliche Darmerkrankung noch vor Ausbruch identifizieren

Bei Leberzirrhose liegt das Risiko für eine Dekompensation im ersten Jahr nach Diagnosestellung bei bis zu 30 Prozent; eine der häufigsten Formen der Dekompensation, Aszites, entwickelt sich im Laufe des Lebens bei bis zu 40 Prozent der Personen mit Leberzirrhose.

© Dr_Microbe / stock.adobe.com

Studie mit über 10.000 Personen

Leberzirrhose: Niedrigere Komplikationsrate unter SGLT-2-Inhibitoren