Keimbahntherapie

Forscher fordern Stopp für Crispr & Co.

Berichte aus China über geborene Mädchen mit geneditiertem Erbgut haben für Aufregung gesorgt. Jetzt fordern Wissenschaftler ein weltweites Moratorium. Sie wollen Keimbahntherapien zunächst stoppen – und eine breite Debatte fördern.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
18 Wissenschaftler aus sieben Ländern haben jetzt ein weltweit geltendes Moratorium und ein internationales Rahmenwerk für die Keimbahntherapie vorschlagen.

18 Wissenschaftler aus sieben Ländern haben jetzt ein weltweit geltendes Moratorium und ein internationales Rahmenwerk für die Keimbahntherapie vorschlagen.

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Er kennt sich aus mit Moratorien, der Chemie-Nobelpreisträger Professor emeritus Paul Berg von der Universität Stanford. Denn er war auch dabei, als Anfang der 1970er-Jahre ein Moratorium im Zusammenhang mit der noch jungen Gentechnik vorgeschlagen wurde. Entsprechende Empfehlungen auf der Konferenz von Asilomar II im Jahr 1975 zur Selbstbeschränkung im Umgang mit genetischem Material – Berg hatte die erste rekombinante DNA hergestellt – haben schließlich in vielen Ländern Eingang gefunden in gesetzliche Regulierungen.

Berg ist einer von 18 Wissenschaftlern aus sieben Ländern, die jetzt ein weltweit geltendes Moratorium mit einem Entwurf für ein internationales Rahmenwerk für die Keimbahntherapie vorschlagen, ein Aufruf, der auch vom Leiter der US-Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH) Dr. Francis Collins unterstützt wird (Nature 2019; 567: 165–168).

Gentechnik-Pioniere sind skeptisch

Mit von der Partie sind auch vier Wissenschaftler aus Deutschland: Professor Emmanuelle Charpentier, Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin und Mitentdeckerin des vielversprechenden Gentechnikwerkzeugs CRISPR-Cas9, Gentechnikpionier Professor Ernst-Ludwig Winnacker vom Genzentrum München, die Medizinerin und Philosophin Professor Bettina Schöne-Seifert von der Universität Münster und die Mikrobiologin Professor Bärbel Friedrich, Mitglied des Präsidiums der Leopoldina, aus Berlin.

Die von den Forschern selbst vorgeschlagene Zurückhaltung bei der Anwendung der Keimbahntherapie ist nicht neu, sondern wurde bereits beim ersten internationalen Gipfeltreffen zum „Human Gene Editing“ 2015 in Washington zum Ausdruck gebracht und letztlich auch im Bericht „Human Genome Editing“ der US-Wissenschaftsakademie NAS von 2017 festgehalten.

Die Ereignisse in China Ende vergangenen Jahres jedoch, wo vermutlich erstmals zwei Mädchen mit Keimbahnveränderung geboren wurden, haben Wissenschaftler wohl aufgeschreckt und zu dem jetzt vorliegenden detaillierten Moratoriumsaufruf gedrängt. Denn die Empfehlung für einen derzeitigen Verzicht auf die Keimbahntherapie bei Menschen in einem Report letztlich zu verstecken, hat den Biophysiker He Jiankui offenbar nicht von seinem Experiment abgehalten.

Er bleibt mit dieser Einstellung möglicherweise nicht allein.

Keine Erbgut-Eingriffe ohne gesellschaftlichen Konsens

Auch wenn das Moratorium nur auf Freiwilligkeit basiert, ist es ein wichtiger Schritt im Umgang mit dieser Forschung, der nicht nur die Wissenschaftler betrifft, sondern gesellschaftliche Relevanz besitzt. Die Anwendung der Genscheren mit Einfluss auf das Erbgut späterer Generationen geht uns alle an.

Beim aktuellen Forschungsstand ist von einer sicheren Nutzung der Technik zur Keimbahntherapie nicht auszugehen. Zu begrüßen ist, dass in dem Aufruf betont wird, trotz theoretischer Erfolge mit der Keimbahntherapie etwa bei der Korrektur einzelner pathogenetischer Mutationen diese Eingriffe nicht ohne einen breiten gesellschaftlichen Konsens vorzunehmen.

Ausdrücklich sprechen sich die Unterzeichner des Aufrufs dagegen aus, die klinische Anwendung der Keimbahntherapie international zu verbieten, auch wenn ein derartiges Verbot in anderen Bereichen durchaus erfolgreich sein kann, etwa bei chemischen und biologischen Waffen. Sie halten es dagegen für sinnvoll, dass jede Nation freiwillig sich selbst verpflichtet, die Keimbahntherapie – zum Beispiel zunächst über fünf Jahre – nicht zuzulassen, solange bestimmte Kriterien nicht erfüllt sind.

Damit bleibt für jede Gesellschaft Raum bei der Entscheidung für oder gegen die Keimbahntherapie, jeweils in Abhängigkeit von der eigenen Geschichte, Kultur, den Wertvorstellungen, aber auch vom politischen System, wie es im Aufruf heißt.

Nicht jeder wird mit dem Aufruf einverstanden sein, etwa weil die Keimbahntherapie darin nicht kategorisch abgelehnt, aber auch nicht bedingungslos befürwortet wird. Darunter sind möglicherweise Professor Jennifer Doudna, Mitentdeckerin der CRISPR-Genschere, die die Therapie derzeit strikt ablehnt, und der Genetiker Professor George Church, der sich dezidiert für die Keimbahntherapie ausspricht. Beide fehlen in der Liste der Unterzeichner des Aufrufs.

Lange Diskussion über Keimbahn-Eingriffe in Deutschland

In Deutschland wird die Diskussion über die Keimbahntherapie schon lange geführt, der Deutsche Ethikrat hat bereits Ende 2017 dazu die Ad-hoc-Empfehlung „Keimbahneingriffe am menschlichen Embryo“ gegeben. Dem aktuellen internationalen Aufruf ist eine rasche und weite Verbreitung zu wünschen, damit die Diskussion über die Keimbahntherapie nicht in Wissenschaftlerzirkeln stecken bleibt, sondern in allen Bereichen der Gesellschaft geführt wird.

Eine Möglichkeit, an der Diskussion teilzunehmen, bietet denn auch das Wissenschaftsmagazin „Nature“.

Es wird so schnell keinen Konsens geben, der alle zufriedenstellt, zumal durch die breite Anwendung der CRISPR-Technik in der Forschung sehr rasch neue wissenschaftliche Erkenntnisse, auch über ihre Sicherheit, gewonnen werden. Aber nur durch die breite Diskussion wird es gelingen, den Umgang mit dieser neuen Therapieform sinnvoll zu steuern.

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