Kommentar zum WHO-Bericht

Gesundheit in Europa - eine Region der Widersprüche

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

Der in Kopenhagen und London publizierte Europäische Gesundheitsbericht der Weltgesundheitsorganisation 2012 enthält ein Eingeständnis, das auf den ersten Blick mehr Realitätssinn versprechen könnte.

Traditionell hat die WHO Gesundheit als einen "Zustand des vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen" definiert. Über 60 Jahre, so die Selbstkritik, habe es "die WHO versäumt, Wohlbefinden zu messen und zu dokumentieren und sich stattdessen auf Mortalität, Krankheit und Behinderung fokussiert".

Daraus folgt eine neue Zielsetzung für 2020: Das Wohlbefinden und Wohlergehen der Bevölkerung zu definieren und Fortschritte zu erfassen. Wobei objektiv die Aspekte Gesundheit, Bildung, Arbeitsplatz, soziale Beziehungen, Umwelt, Sicherheit, Bürgerbeteiligung und Politikgestaltung und subjektiv die Lebenserfahrungen von Menschen erfasst und verknüpft werden sollen.

Wäre dies ein Bericht für die Wohlstandsregionen der Europäischen Union, so könnte man von einer ambitionierten, aber nicht völlig unrealistischen Zielsetzung sprechen. Die WHO-Region Europa erfasst aber auch die Staaten östlich der EU: Russland, die Armenhäuser Moldawien, die Kaukasus-Staaten und die Länder des ehemaligen Jugoslawien und die kranken Kinder der EU, Rumänien und Bulgarien.

Dem immensen Reichtum der Luxemburger mit einem Bruttoinlandsprodukt von 105.000 Euro pro Kopf stehen bittere Armut und Ungleichheit in Osteuropa gegenüber.

"Glückseligkeits-Indikatoren" abwegig

Angesichts dessen erscheint der Ansatz der WHO, objektive und subjektive "Glückseligkeits-Indikatoren" bis 2020 zu entwickeln, als unrealistisch und abwegig, ja sogar in die Irre führend.

Die umfangreichen Fakten, die der aktuelle Bericht präsentiert, mahnen vielmehr zu weitaus bescheideneren, aber realistischeren Zielsetzungen: effektive Instrumente gegen den immensen Tabak- und Alkoholabusus in Osteuropa zu entwickeln, den Kampf gegen HIV/Aids und Tuberkulose - weltweit wachsen die Inzidenzen dafür in Osteuropa am schnellsten! - aufzunehmen und diese Krankheiten zu enttabuisieren.

Dazu gehört auch ein Mindestmaß an Zugang zu essenziellen Gesundheitsleistungen, etwa die staatliche Finanzierung von Medikamenten in der ambulanten Versorgung.

Europa hat - glücklicherweise - seit 23 Jahren immer mehr offene Grenzen. Damit fluktuieren auch Krankheiten. Dem wohlhabenden Europa kann daher das Schicksal der Menschen in den Armenhäusern nicht gleichgültig sein. Das erfordert pragmatische Zielsetzungen. Und davon ist die WHO weit entfernt.

Lesen Sie dazu auch: Gesundheits-Vergleich: Im Osten krankt's

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Mehr als ein oberflächlicher Eingriff: Die Krankenhausreform verändert auch an der Schnittstelle ambulant-stationär eine ganze Menge.

© Tobilander / stock.adobe.com

Folgen der Krankenhausreform für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte

Die Klinikreform bringt Bewegung an der Schnittstelle zwischen Praxen und Krankenhäusern

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztbank (apoBank)
Ein Medikament unter vielen, das wenigen hilft? 2400 Wirkstoff-Kandidaten in der EU haben den Orphan-Drug-Status.

© artisteer / Getty Images / iStock

Wirkstoff-Kandidaten mit Orphan-Drug-Status

Orphan Drugs – Risiken für ein Modell

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa)
Ein junges Mädchen wird geimpft – gegen HPV? (Symbolbild mit Fotomodellen)

© milanmarkovic78 / stock.adobe.com

Vision Zero Onkologie

Die Elimination des Zervixkarzinoms

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Vision Zero e.V.
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Lungensurfactant

Warum Seufzen der Atmung gut tut

Lesetipps
Der Rücken eines Mannes mit Gürtelrose zeigt Vesikel.

© Chinamon / stock.adobe.com

Alter für Indikationsimpfung herabgesetzt

STIKO ändert Empfehlung zur Herpes zoster-Impfung

Mammografie-Screening bei einer Patientin

© pixelfit / Getty Images / iStock

Prävention

Mammografie-Screening: Das sind Hindernisse und Motivatoren