Gesundheitsökonomen vermissen Gestaltungsfreiheit für Kassen

Keine guten Noten geben Wirtschaftswissenschaftler der letzten Gesundheitsreform: Sie vermissen vor allem mehr Spielraum für Wettbewerb im stationären Sektor. Für misslungen halten die Forscher auch den Sozialausgleich.

Von Jürgen Stoschek Veröffentlicht:

BAYREUTH (sto). Die jüngste Gesundheitsreform ist nach Ansicht führender Gesundheitsökonomen nicht geeignet, die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung in Deutschland zu steigern.

Der größte Mangel bestehe darin, dass den Krankenkassen im Wettbewerb keine zusätzlichen Instrumente in die Hand gegeben werden, um durch individuelle Vertragsgestaltung mit den Leistungserbringern selbst für mehr Wirtschaftlichkeit zu sorgen, erklärte die Deutsche Gesellschaft für Gesundheitsökonomie (dggö) bei ihrer Jahrestagung in Bayreuth. Zwar seien im ambulanten Bereich Selektivverträge bereits möglich, im stationären Bereich fehle dieses Instrument jedoch vollständig.

Deutschland habe im internationalen Vergleich nicht nur eine sehr hohe Bettendichte, sondern auch viele kleine und nicht spezialisierte Krankenhäuser. Darunter leide nicht nur die Wirtschaftlichkeit, sondern auch die medizinische Qualität, erklärte die dggö.

Deshalb wäre es sinnvoll, wenn Krankenkassen das Recht hätten, nur mit den Krankenhäusern einen Vertrag abzuschließen, die für eine hochwertige Versorgung ihrer Versicherten erforderlich sind.

Auch beim Inhalt von Versorgungsverträgen und deren Vergütung sollten die Vertragspartner mehr Gestaltungsfreiheiten haben. "Der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen könnte hier als Entdeckungsverfahren wirken", erklärte der Vorsitzende der Gesellschaft, Professor Stefan Willich. Durch einen "Prozess von Versuch und Irrtum" könne die Effizienz des Leistungsgeschehens in der Gesundheitsversorgung nachhaltig gesteigert werden.

Zu der zweitägigen Jahrestagung der dggö, die erst seit drei Jahren besteht, waren rund 400 Teilnehmer aus Forschung und Praxis nach Bayreuth gekommen. Zu den Themen der Tagung gehörte auch der Zusatzbeitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Sozialausgleich.

Die Freigabe des Zusatzbeitrags sei zwar positiv zu bewerten, erklärte Kongresspräsident Professor Volker Ulrich. Allerdings werde der Zusatzbeitrag erst dann zu einem echten Preis im Kassenwettbewerb, wenn er von allen erwachsenen Versicherten und nicht nur von den Mitgliedern verlangt werde, meinte der stellvertretende dggö-Vorsitzende Professor Friedrich Breyer.

Misslungen sei hingegen die Ausgestaltung des Sozialausgleichs. Zum einen orientiere sich der Sozialausgleich nur am beitragspflichtigen Einkommen und nicht an der ökonomischen Leistungsfähigkeit des Haushalts, kritisierte Breyer.

Und zum anderen gebe die Regierung nicht zu erkennen, ob der Ausbau der Zusatzbeiträge einen Einstieg in die Gesundheitsprämie bedeuten soll. Sollte das geplant sein, werde es über kurz oder lang Steuererhöhungen geben müssen, wenn nicht, sei der Sozialausgleich eigentlich überflüssig, so die dggö.

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