EU-Resolution
Jetzt baut die EU an einer Gesundheitsunion
Brüssel dringt auf umfassende Konsequenzen aus der Pandemie: Vier Schwerpunkte stehen in einer Resolution. Auch Zwanslizenzen für Remdesivir sind vorstellbar.
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Als Folge der Corona-Pandemie drängen die Europa-Abgeordneten nun auf eine Gesundheitsunion, die auch eine stärkere Zusammenarbeit in der Arznei-Entwicklung vorsieht.
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Brüssel/Berlin. Der Beschluss ist eine Antwort auf die eklatanten Probleme, die in der Gesundheitspolitik der EU-Mitgliedstaaten während der Pandemie aufgebrochen waren. Es ist „offensichtlich, dass viele Herausforderungen nur gelöst werden können, wenn wir grenzüberschreitend zusammenarbeiten“, sagte der Mediziner und CDU-Europaabgeordnete Peter Liese noch vor der Abstimmung am Freitag. Eine Gesundheitsunion soll her, ausgestattet mit mehr Kompetenzen – bei aller gebotenen Rücksicht auf die vertraglich zugesicherte Hoheit der einzelnen Länder. Das ist das Ergebnis einer Resolution, die die Abgeordnetenkammer der EU in Brüssel verabschiedet.
Was sind die vier Schwerpunkte?
Vier Schwerpunkte sieht das Papier vor: die Stärkung des Europäischen Zentrums für Seuchenbekämpfung (ECDC), mehr Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen nach dem Modell der amerikanischen BARDA. Mehr Kooperation bei eHealth gehört ebenso dazu wie wirkungsvolle Maßnahmen zur Beseitigung der Engpässe bei bestimmten Arzneien. Das mag wie eines jener vielen Papiere klingen, die in Brüssel beschlossen und dann wieder vergessen werden. Aber das Parlament drängt auf mehr: Künftig soll bei allen Folgeabschätzungen der EU-Gesetzgebung nicht mehr nur auf wirtschaftliche und ökologische Auswirkungen geprüft werden, sondern auch auf gesundheitliche.
Der Zeitpunkt für den Vorstoß ist gut gewählt. Zwar werden die Staats- und Regierungschefs erst in der kommenden Woche über den Mittelfristigen Finanzrahmen (MFR) der Gemeinschaft für die sieben Jahre ab 2021 beraten und auch den Wiederaufbau-Fonds diskutieren – im Idealfall beides sogar beschließen. Doch schon jetzt fehlt die Forderung nach Konsequenzen aus der Pandemie in keinem Aufgabenkatalog.EU fühlt sich schlecht aufgestellt
Die EU fühlt sich schlecht aufgestellt – nicht nur am Anfang der COVID-19-Krise, sondern auch jetzt noch. Als der US-Hersteller Gilead Sciences in der Vorwoche die Zulassung seines Medikamentes Remdesivir für den europäischen Markt feiern konnte, nahm man in Brüssel dies erstmals zum Anlass für selbstbewusste Drohungen. Denn zuvor hatte die US-Regierung bekannt gegeben, die gesamte Produktion der kommenden drei Monate aufgekauft zu haben.Laut Liese wird inzwischen ernsthaftein Plan B erwogen. Sollte der US-Konzern nicht für die weltweite Bereitstellung von Remdesivir sorgen, werde man in der EU über die Erteilung von Zwangslizenzen nachdenken, um das Medikament durch andere Hersteller auch für europäische Kliniken und Patienten verfügbar zu machen.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Versorgung
Die Entschlossenheit ist neu und sie hat bereits begonnen, Kreise zu ziehen. In der Vorwoche beschloss die christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch CDU und CSU gehören, ein neues Gesundheitsprogramm. Es enthält weitgehende Forderungen, die auch in die Resolution eingeflossen sind, geht aber noch weiter. So wird der bereits im Europawahlkampf angekündigte Master-Plan zum Kampf gegen Krebserkrankungen noch einmal herausgestellt.
Hinzugekommen sind weitere Forderungen auch für andere Krankheitsbilder, für mehr Forschung, mehr grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Betreuung von Patienten und der Verfügbarkeit von Medizinern, mehr Telemedizin und Arzneimittel-Entwicklung sowie ein Aufruf, den Verschwörungstheorien und Mythen in der Gesundheitspolitik konsequenter entgegenzutreten, beispielsweise wenn es um Impfungen geht.
Alle diese Vorgänge haben die gleiche Stoßrichtung: Die EU-Staaten scheinen nach der Coronavirus-Krise entschlossen, die Gesundheitspolitik auch im europäischen Kontext weiter zu entwickeln und zu verstärken. Noch ist von der Verlagerung von mehr Kompetenzen nach Brüssel kaum die Rede. Aber das bisherige Tabu bröckelt erkennbar. (ded)