Neues Gutachten

Kodierberatung weiter Usus

Nach wie vor ist offenbar Kodierberatung bei Ärzten durch Krankenkassen Praxis, geht aus Daten einer Studie hervor. Die TK drängt auf die geplanten Manipulationsbremsen.

Ruth NeyVon Ruth Ney Veröffentlicht:
Die „richtige“ Kodierung der Diagnosen ist seit langem ein Streitthema. Jens Spahn versucht dies nun mit einer Reform des Morbi-RSA und des Kassenwettbewerbs anzugehen.

Die „richtige“ Kodierung der Diagnosen ist seit langem ein Streitthema. Jens Spahn versucht dies nun mit einer Reform des Morbi-RSA und des Kassenwettbewerbs anzugehen.

© momius / stock.adobe.com

HAMBURG. Die Reform des Finanzausgleichs der Kassen untereinander ist bereits auf dem Weg. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat dazu Ende März einen entsprechenden Referentenentwurf ins Rennen gebracht. Sein Ziel beim „Faire-Kassenwahl-Gesetz“: Der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen soll neu aufgestellt werden. Diese sollen sich stärker auf Versorgungsinhalte konzentrieren.

Ein Bericht im „Spiegel“ gießt nun Öl ins Feuer der Debatten um die Reform des Morbi-RSA. Einem aktuellen Gutachten zufolge, das die Techniker Krankenkasse (TK) in Auftrag gegeben hat und über das das Medium zuerst berichtet hat, sollen gesetzliche Krankenkassen nach wie vor Ärzten bei der Diagnosekodierung aktiv unter die Arme greifen. Für das Gutachten des Wissenschaftlichen Instituts für Gesundheitssystemforschung (WIG2 Institut) sind über 600 Ärzte (API) befragt worden.

19,4 Prozent vom ihnen gaben dem Gutachten zufolge an, auch nach 2018 noch eine Beratung mit Vorschlägen zur Diagnosekodierung vonseiten der gesetzlichen Krankenversicherung angeboten bekommen zu haben. Bezogen auf die 120 befragten Ärzte, die seit 2018 Vorschläge zur Diagnosekodierung bekamen, gaben 40 Prozent an, dass ihre Praxis mindestens eine persönliche Kodierberatung erhielt.

 31,7 Prozent von ihnen wurden telefonisch zur Kodierung beraten und 36,7 Prozent erhielten Vorschläge durch informationstechnische Systeme oder Praxis-EDV. Bei 19,2 Prozent wurden nachträgliche Diagnoseübermittlungen nach erfolgter Wirtschaftlichkeitsprüfung angefragt (Mehrfachnennungen!). Sonstige Beratungen erhielten 12,5 Prozent.

Zu diesen Erkrankungen gab es die meiste Kodierberatung

Die meisten Beratungen (65 %) erfolgten zu Krankheiten der Kreislaufsystems (I00-I99), zu Stoffwechselerkrankungen (E00-E99; 49,2%) und Krankheiten des Atmungssystems (J00-J99; 42,5,%).

Auffällig sei, heißt es in dem Gutachten, dass der „Anteil, der durch informationstechnische Systeme und Praxissoftware Vorschläge zur Diagnosekodierung erhielt“, vor April 2017 bei 17 Prozent lag, nach April bei 28 und nach 2018 bei 36,7 Prozent.

Von den Ärzten, die angaben, seit 2018 Vorschläge zur Diagnosekodierung erhalten zu haben, bewerteten 45 Prozent die Beratung als sehr oder eher hilfreic. 24 Prozent empfanden sie allerdings als nicht hilfreich und 31 Prozent sogar als störend.

Beratungen zur Diagnosekodierung sind eine Gratwanderung: So ist seit April 2017 die „Beratung“ von Ärzten, die allein das Ziel hat, Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu erhöhen, verboten. Beeinflussungen des Kodierverhaltens durch die Praxissoftware hat der Gesetzgeber ebenfalls für unzulässig erklärt. Dazu war ein entsprechender Paragraf an das Heil- und Hilfsmittelgesetz angehängt worden.

Die TK hatte jedoch bereits Ende 2017 nach einer ersten Befragung durch das WIG2 Institut darauf hingewiesen, dass Kodierberatung nach wie vor Usus sei – nur mit anderen Methoden. Zuvor hatte ein IGES-Gutachten festgestellt, dass die Kassen auch nach den Eingriffen des Gesetzgebers noch Manipulationsmöglichkeiten bei ärztlichen Diagnosen besäßen.

Manche EBM-Leistungen können allerdings auch nur nach erfolgter Kodierung bestimmter Diagnosen abgerechnet werden.

Dr. Jens Baas, Vorsitzender des Vorstands der TK, äußerte sich zu den neuen Daten gegenüber der „Ärzte Zeitung“: Die Zahlen zeigen, dass verbotene Kodierbeeinflussung nach wie vor ein strukturelles Problem ist. Die vom Bundesgesundheitsminister geplanten Manipulationsbremsen sind dringend notwendig, können aber nur greifen, wenn es eine einheitliche Aufsicht gibt.“

Werde allerdings das Vorhaben in seine Einzelteile zerhackt und zerredet, werde das Problem in einem Vollmodell vermutlich eher größer statt kleiner, warnt Baas.

Was auf die Kassen zukommen soll

Die Reformpläne für den Risikostrukturausgleich sehen etliche Neuregelungen für die Kassen vor, etwa:

  • Einführung Vollmodell: Statt der bisher 80 jährlich neu festgelegten Krankheiten sollen künftig alle 360 kodierbaren Krankheiten in den Ausgleich einbezogen werden.
  • Regionalkomponente: Regionale Unterschiede, etwa der Anteil ambulant Pflegebedürftiger, sollen in die Berechnungen einbezogen werden.
  • RSA-Manipulationen: Hohe Steigerungsraten bei Diagnosen, Upcoding, sollen erschwert werden. Steigen die Diagnosen für bestimmte Morbiditätsgruppen auffällig, sollen sie aus dem Finanzausgleich fallen.

Lesen Sie dazu auch: Kodierung: "Faire-Kassenwahl-Gesetz" treibt Verbände auf die Barrikaden

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